"Ohne Geist", so lautet die wörtliche Übersetzung des Begriffs Demenz, der aus dem Lateinischen kommt. Das trifft den Nagel auf den Kopf, denn bei Betroffenen schwinden die geistigen Fähigkeiten. Und das kann bis zum Tod führen.
Immer mehr Menschen in Deutschland sterben an Demenz. Laut Statistischem Bundesamt gab es im vergangenen Jahr fast 62.000 Sterbefälle, vor allem Frauen waren betroffen.
Janine Diehl-Schmid ist Chefärztin am Zentrum für Altersmedizin am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg am Inn. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie hat schon viele Menschen während ihrer Demenzerkrankung begleitet, bis in den Tod.
Frau Diehl-Schmid, viele Menschen verbinden mit Demenz primär Verwirrtheit und Vergesslichkeit, weil die geistige Leistungsfähigkeit nachlässt. Wie stirbt man also überhaupt an Demenz?
Janine Diehl-Schmid: Menschen mit Demenz können auch an etwas anderem als der Demenz sterben, etwa einem Autounfall. Und Patienten mit einer leichtgradigen oder mittelgradigen Demenz können genauso an Krebs erkranken wie Menschen, die keine Demenz haben. Wenn man aber die Demenz bis in das fortgeschrittene schwere Stadium überlebt, steigt die Wahrscheinlichkeit deutlich, an der Demenz zu versterben. Dann entwickeln Patienten körperliche Symptome, in erster Linie neurologische. So ist die Schluckstörung ein typisches Symptom der fortgeschrittenen Demenz, die dadurch entsteht, dass die Nervenzellen im Gehirn, die für das Schlucken zuständig sind, nicht mehr so gut funktionieren.
Stadien bei Alzheimer-Demenz
- Der Krankheitsverlauf bei Alzheimer erstreckt sich typischerweise über drei bis zehn Jahre und durchläuft drei ineinander übergehende Stadien.
- Alzheimer beginnt schleichend mit Gedächtnislücken und Stimmungsschwankungen, entwickelt sich zu deutlichen Einschränkungen im Alltag und endet im Spätstadium mit vollständiger Pflegebedürftigkeit, wobei Betroffene Familienmitglieder nicht mehr erkennen und Kommunikation kaum noch möglich ist.
- Alzheimer dominiert die Demenzformen mit einem Anteil von 60 bis 65 Prozent aller Fälle, gefolgt von vaskulären Demenzen (20 bis 30 Prozent) und Mischformen (15 Prozent).
Was resultiert daraus?
Die Patienten verschlucken sich beim Essen oder beim Trinken, und sie schlucken immer wieder ein bisschen Speichel, der in die Lunge gerät. Die Lunge reagiert mit einer anfangs noch sehr leichten Lungenentzündung, doch mit der Zeit kann sich eine starke Lungenentzündung entwickeln, die zum Tod führen kann.
Welche neurologischen Probleme können noch auftreten?
Bei den meisten Patienten im schweren Stadium der Demenz wird der Gang unsicher, weil motorische Hirnareale nicht mehr so arbeiten, wie sie sollten. Dadurch sind die Patienten sturzgefährdet, fallen hin, brechen sich beispielsweise den Oberschenkel. In so einem Fall wäre dann der Sturz mit den Folgekomplikationen die Todesursache – allerdings war ja die Demenz der Auslöser dafür. Hinzu kommt, dass im fortgeschrittenen Stadium der Demenz das Risiko einer Infektion steigt.
Wie kommt das?
Menschen mit Demenz leben nicht mehr so gesund: Sie ernähren sich meist schlechter, können sich nicht mehr so gut bewegen, gehen seltener an in die frische Luft, treiben keinen Sport mehr. Dadurch ist die Immunabwehr kompromittiert. Durch Inkontinenz beziehungsweise nachlassende Hygiene besteht außerdem das Risiko von Harnwegsinfekten wie Blasentzündungen, die sich zu Nierenbeckenentzündungen entwickeln können. Da gibt es eine Vielzahl von Infektionen, die Patienten mit schwerer Demenz bekommen, die sie ohne Demenz vermutlich nicht bekommen hätten.
Die Demenz kann Jahre dauern und was Sie gerade beschrieben haben, zehrt natürlich an einem …
Die Demenz ist definitiv eine zehrende Erkrankung. Die Krankheit verbraucht viel Energie und die Patienten sind meistens älter, manchmal sehr unruhig. Sie essen oft wenig, weil sie weniger Appetit haben oder auch nicht mehr so gut schlucken können. Einige versterben am Ende kachektisch. Das bedeutet: Sie sind abgemagert und ausgezehrt. Das ist eine sehr demenzspezifische Todesursache.
Lässt sich folglich erkennen, dass jemand mit Demenz bald sterben wird?
Häufig, aber nicht immer. Es gibt auch im fortgeschrittenen Stadium der Demenzen plötzliches Versterben, aber meistens kommt es zu einem Sterbeprozess aus den unterschiedlichsten Ursachen. In den letzten Tagen vor dem Tod sieht man das den Sterbenden meist an. Es kommt zu einer zunehmenden Störung des Bewusstseins, die Sterbenden dämmern zunächst immer wieder weg. Die Haut wird grau, fahler, kälter und wirkt wächsern. Die Atmung wird unregelmäßiger: erst tiefer, dann oberflächlicher, mit Atempausen. Oft bildet sich ein grau-fahles Dreieck zwischen Nase und Mund. Bei diesen Anzeichen erklären wir den Angehörigen, dass die Sterbephase vermutlich beginnt.
Vermutlich?
Es gibt durchaus Patienten, denen es im Laufe ihrer fortgeschrittenen Demenz ein paar Tage sehr, sehr schlecht geht, doch dann erholen sie sich wieder. Daher ist man mit Prognosen oft vorsichtig.
Empfehlungen der Redaktion
Wie viel bekommen die Betroffenen, die sich im Sterbeprozess befinden, selbst davon mit? Ist Ihnen klar, dass sie bald sterben werden?
Nein. Ich bin mir recht sicher, dass ein Patient im fortgeschrittenen Stadium der Demenz nicht versteht, dass er sterben wird. Wenn man genauer wissen möchte, wie es Menschen mit fortgeschrittener Demenz geht, kann man aber leider nur beobachten. Denn die Fähigkeit zur Kommunikation ist bei Menschen mit schwerer Demenz so stark eingeschränkt, dass man keine klaren Antworten auf komplexe Fragen erwarten kann.
Wie lässt sich das Sterben erträglicher machen?
Beim Sterben steht eine gute Sterbequalität im Mittelpunkt der Behandlung. Manche Menschen mit Demenz dürfen sehr ruhig und friedlich versterben. Einige Sterbende leiden aber unter belastenden Symptomen wie Schmerzen, Atemnot oder Unruhe und Angst. Wir versuchen, Schmerzen, Angst und Atemnot gezielt medikamentös und auch nicht-medikamentös zu behandeln, etwa durch Schmerzmittel und angstlösende Medikamente. Morphium zum Beispiel ist nicht nur schmerzlindernd, sondern nimmt auch die Atemnot. Und wir geben acht, dass sich die Patienten nicht allein fühlen.
Was gibt es da für Möglichkeiten?
Aromatherapie mit beruhigend wirkenden Düften oder Musik und eine angepasste Beleuchtung können helfen. Auch Berührungen und eine entspannende Atemtherapie wirken beruhigend.
"Selbst wenn der Patient nicht genau weiß, wer das ist, merkt er durchaus, dass jemand da ist, der ihm wohlgesonnen ist."
Für Angehörige ist es tragisch, ihre Liebsten sterben zu sehen. Gibt es etwas, das sie aktiv tun können, um den Sterbeprozess leichter zu machen?
Die Anwesenheit hilft. Viele bezweifeln, dass Demenzerkrankte ihre Angehörigen noch erkennen und deren Anwesenheit mitbekommen. Ich bin absolut überzeugt, dass Menschen noch im schwersten Stadium der Demenz wissen, wenn sie allein sind, beziehungsweise, wenn sie nicht allein sind. Selbst wenn der Patient nicht genau weiß, wer das ist, merkt er durchaus, dass jemand da ist, der ihm wohlgesonnen ist. Und damit entspannen sich die Patienten.
Da sein allein hilft also schon …
Genau. Angehörige müssen allerdings selbst wissen, was ihnen liegt. Es gibt welche, die sind einfach nur da und halten die Hand. Ich habe auch schon eine Ehefrau erlebt, die zwei Tage lang aus einem Lieblingsbuch vorgelesen hat. Andere spielen Musik, die dem Patienten gefällt.
Allerdings kann man nicht rund um die Uhr anwesend sein.
Und das ist auch gut so! Es ist tatsächlich so, dass man den Patienten wieder Zeit für sich selbst geben sollte, zumindest indem man den Raum für eine Weile verlässt. Wir sehen häufig, dass Patienten erst sterben können, wenn niemand da ist. Bei uns in der Klinik kommt es extrem selten vor, dass ein Patient stirbt, wenn Pflegepersonal oder Angehörige im Raum sind.
Es ist also kein Mythos, dass man sich noch verabschiedet und die Sterbenden danach loslassen können?
Definitiv nicht. Diese Beobachtung machen wir immer wieder.
Exkurs: Was hilft, Demenz vorzubeugen, Frau Diehl-Schmid?
- "Ein gesunder Lebensstil beugt Demenz vor, Bewegung ist vermutlich die wichtigste Maßnahme. Wie neue Studien außerdem zeigen, scheint zudem die Gürtelrose-Impfung einen sehr positiven Effekt zu haben. Was häufig unterschätzt wird, ist der Einfluss von Hören und Sehen. Wer schlecht hört, sollte sich ein Hörgerät verschreiben lässt. Jemand, der schlecht sieht, sollte sich eine Brille anpassen lassen."
- "Man kann sehr viel tun, sicherlich nicht, um eine Demenz komplett zu vermeiden, aber um den Beginn von einer Demenz um Jahre nach hinten zu verschieben. Mittlerweile sind sich die Menschen viel bewusster darüber, wie wichtig ein gesunder Lebensstil ist. Auch in der Demenzdiagnostik und -forschung hat sich viel getan. Wir sind auf einem guten Weg."
Über die Gesprächspartnerin
- Prof. Dr. med. Janine Diehl-Schmid ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit den Zusatzbezeichnungen Geriatrie und Palliativmedizin. Sie studierte Medizin an der LMU und TU München. Seit 2022 ist Diehl-Schmid Chefärztin am Zentrum für Altersmedizin des kbo-Inn-Salzach-Klinikums in Wasserburg am Inn. Sie ist ausgewiesene Demenz-Expertin mit Fokus auf neurodegenerative Demenzen wie die Alzheimer-Demenz und die frontotemporale Demenz.