100 Sekunden Leben - Russische Laubbläser
Jetzt sie sind wieder im Einsatz: Die Laubbläser. Mit viel Lärm und teils noch mehr Abgasen wirbeln sie Blätter durch die Gegend. Und den Seelenfrieden unserer Kolumnistin Doris Anselm.
Hiermit komme ich zu meiner alljährlichen Laubbläserkolumne. Nein, es gibt da nichts neues. Zum Beispiel: immer noch keinen Grenzwert dafür, wie laut ein Laubbläser sein darf. Einige liegen dezibelmäßig auf dem Level Presslufhammerkettensäge. Doch je lauter es draußen wird, desto mehr kehre ich mich nach innen, ins Leise.
Zuflucht finde ich in der Poesie. Etwa bei dem berühmten Jahreszeitengedicht von Mööööörrrrike: "Herbst, er lässt sein graues Band / wieder knattern durch die Lüfte / bittersüße Abgasdüfte streifen ahnungsvoll das Land. / Kothäufchen träumen schon / wollen Feinstaub werden / Laubbläser, du bist’s! / Grund aller Beschwerden!"
Ja, so lebe ich im Einklang mit der Jahreszeit. Was bleibt einem auch anderes übrig? Humor oder Gewaltfantasien. Klar ist der Laubbläser eigentlich eine Waffe. Vor allem in einer Bürokratie. Papierloses Büro? Von wegen! Manchmal stelle ich mir vor, wie Terroristen nur mit Laubbläsern bewaffnet eine Bundesbehörde stürmen (haha: "stürmen"!). Danach wäre Deutschland drei Wochen lang lahmgelegt. Wenn die Russen das schnallen, stellen die ihr Arsenal komplett um: Laut wie ein Kampfjet, wendig wie ’ne Drohne: Was braucht man mehr als den Laubbläser?
Vielleicht ist das ja schon längst passiert. Mein persönlicher Luftraum wird gerade jeden Tag verletzt, hier in meiner vielbelaubten Nachbarschaft. Und bisher hat mir die NATO keine Richtlinie an die Hand gegeben, wie ich auf die Provokationen reagieren soll. Auf Unterstützung kann ich wohl nicht hoffen. Da heißt es aufrüsten! Ab in den Baumarkt zu den Gartengeräten. Ich bin aber für die humane Kriegführung, also ohne Landminen und Laubbläser. Meine Schlagkraft entsteht allein durch rechte und linke Harken. So eine gute alte Harke ist nämlich effektiv und läuft ganz ohne russisches Öl.

