Chemie

Elektronen durchs Molekül verfolgt

Physiker beobachten erstmals die Bewegung von Valenzelektronen bei einer Reaktion

Ammoniak-Moleküle
Physiker haben erstmals die Bewegungen von Valenzelektronen in einem Molekül beobachtet – bei der Reaktion eines Ammoniak-Moleküls. © Ian Gabalski, Stanford/ SLAC National Accelerator Laboratory

Physiker haben erstmals die Basis aller chemischen Reaktionen sichtbar gemacht: Sie beobachteten die Bewegung eines Valenz-Elektrons durch ein reagierendes Molekül. Die Aufnahmen mittels Röntgenlaser enthüllen, wie sich die Position des Elektrons im Molekül verändert und welche Bindungen dadurch aufbrechen. Sie zeigen aber auch die „Abzweigungen“ in zwei mögliche Reaktionswege. Diese Beobachtungen geben damit wichtige Einblicke in die Prozesse hinter den chemischen Reaktionen.

Elektronen sind die Basis aller Chemie. Denn durch sie entstehen chemische Bindungen, halten Moleküle zusammen oder zerfallen wieder. Je nach Bindungstyp geben Atome dabei entweder einige ihrer Außenelektronen ab oder sie teilen sich diese Valenzelektronen – beispielsweise durch verschmelzende Elektronenorbitale. Entsprechend wichtig ist es, das Verhalten der Elektronen in einem Molekül möglichst genau zu kennen.

Maskiert und extrem schnell

Doch gerade die Valenzelektronen sind extrem schwer direkt zu beobachten – erst recht während einer chemischen Reaktion. Denn die Prozesse in den beteiligten Molekülen laufen innerhalb von Femtosekunden ab – einer Billiardstel Sekunde. Eine so hohe zeitliche Auflösung erreichen nur spezielle Röntgenlaser, die die Moleküle mit kurzwelligem, kohärentem Röntgenlicht beschießen und so die Bewegung der Atome quasi einfrieren. Dies hat beispielsweise enthüllt, wie Bindungen entstehen, sich umlagern oder auflösen.

Das Problem jedoch: Die Röntgenstrahlen dieser Laser interagieren mit allen Elektronen im Molekül – auch denen der inneren Atomhüllen, die nicht am Bindungsgeschehen teilnehmen. „Dadurch sind solche Aufnahmen von den inneren Elektronen und Kernstreuungsreaktionen dominiert“, erklären Ian Gabalski vom SLAC National Accelerator Laboratory in Kalifornien und sein Team. „Dies maskiert die Signaturen der chemisch entscheidenden Valenzelektronen.“ Bisher konnte deren Bewegung bisher noch nie direkt beobachtet und zeitlich hochaufgelöst verfolgt werden.

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EXperimentaufbau
Schematischer Aufbau des Experiments. Ein UV-Laser (links) regt das Ammoniak-Molekül an und verursacht eine Positionsänderung der Atome und Elektronen, bevor ein Wasserstoffatom abgespalten wird. Der Röntgenlaser (oben) bildet dies ab.© Ian Gabalski, Stanford/ SLAC National Accelerator Laboratory

Ammoniak im Röntgenlaser

Das hat sich nun geändert. Gabalski und seinen Kollegen ist es erstmals gelungen, ein Valenzelektron bei seinem Weg durch ein Molekül zu beobachten. Die erste Voraussetzung dafür war die Wahl eines dafür geeigneten Moleküls – in diesem Fall Ammoniak (NH3). Anders als bei den meisten Molekülen besitzt diese Verbindung mehr Valenzelektronen als innere Elektronen. Die drei Wasserstoffatome besitzen zudem jeweils nur ein Elektron.

„Das erlaubt es uns, die zeitabhängige Bewegung nur der Valenzelektronen-Verteilung über die ganze Reaktion hinweg mitzuverfolgen“, erklären die Physiker. Dafür beschossen sie die Ammoniak-Moleküle mit den ultrakurzen, kohärenten Röntgenpulsen der Linac Coherent Light Source (LCLS) am SLAC. Diese Pulse wurden an den Elektronen des Moleküls gestreut und verrieten mittels zeitlich hochaufgelöster Röntgendiffraktion (TRXS) ihre Positionen.

„TRXS kann eine zeitliche Auflösung von rund zehn Femtosekunden erreichen und bildet dabei ausschließlich die Elektronendichte-Verteilung ab“, erklären Gabalski und sein Team.

Positionsänderungen abgebildet

Und tatsächlich: Durch Kombination dieser Analysemethode mit einer modellgestützten Auswertung gelang das Experiment: Es zeigte, wie sich die Valenzelektronen im Ammoniak bewegen, wenn dieses durch UV-Licht angeregt wird und anschließend zerfällt. „Normalerweise können wir nur indirekt darauf schließen, wie sich die Valenzelektronen bei einer Reaktion bewegen, aber jetzt konnten wir tatsächlich direkt zuschauen“, berichtet Koautorin Nanna List vom Königlich Technischen Institut in Stockholm.

Die Aufnahmen enthüllten, wie sich erst die Form des normalerweise pyramidenförmigen Ammoniak-Moleküls wandelte: Es wurde flach. Dies ermöglichte es einem der drei am Stickstoffatom gebundenen Wasserstoffatome, seine Bindung zu lösen und sein Valenzelektron mitzunehmen. Die Physiker konnten diesen Prozess dank ihrer Röntgenschnappschüsse mitverfolgen und dabei sehen, wo sich die Valenzelektronen befanden.

Zwei Reaktionswege

Interessant auch: Die Ammoniak-Aufspaltung folgte zwei verschiedenen Reaktionswegen, deren Entwicklung und Elektronenbewegung das Team ebenfalls mitverfolgen konnte. Dies lieferte Einblicke darin, unter welchen Umständen ein Molekül dem einen oder anderen Weg folgt. Relevant ist dies, weil solche „Abzweigungen“ treten bei vielen chemischen Reaktionen auftreten und dann zu unerwünschten Nebenprodukten führen können.

„Wenn man beispielsweise versucht, ein Molekül für ein neues Arzneimittel oder Material zu synthetisieren, können solche Beiprodukte entstehen“, erklärt Gabalski. „Wenn man aber weiß, warum das passiert, dann kann man die Reaktion gezielter in die gewünschte Richtung lenken.“ Die direkte Beobachtung von Valenzelektronen könne hierbei helfen.

Die Physiker arbeiten bereits daran, ihre Methode zu verfeinern, um die räumliche und zeitliche Auflösung der Aufnahmen weiter zu erhöhen. „Das Experiment war ein erster Beweis der Machbarkeit, der uns bereits Dinge gezeigt hat, die nie zuvor für uns sichtbar waren“, betont Gabalski. (Physical Review Letters , 2025; doi: 10.1103/53h3-vykl)

Quelle: SLAC National Accelerator Laboratory

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