Filmkulisse Berlin Eine Stadt hat den Dreh raus
Berlin - Was ist los, wenn am Edeka um die Ecke plötzlich kyrillische Buchstaben kleben? Polizeiautos mit russischen Kennzeichen herumflitzen? Wolkenkratzerhohe Flutlichttürme verwinkelte Gassen ausleuchten und die Schlafzimmer der Anwohner gleich mit? Dann wird wieder gedreht. Jüngst hechtete Matt Damon durch die Straßen von Berlin, um für den dritten Teil der "Bourne"-Reihe ("Das Bourne Ultimatum") den an Gedächtnisverlust leidenden Profikiller Jason Bourne zu spielen.
Der Hollywood-Schauspieler war schon öfter zum Arbeiten in der Haupstadt: Der Vorgängerfilm "Die Bourne Verschwörung" beginnt mit einem Schwenk über das Sony-Zelt am Potsdamer Platz. Die Leipziger Straße bot die Kulisse für eine Autojagd mit ordentlich viel Blechschaden. Bourne musste sich außerdem mit flottem Sprung auf einen Spree-Schleppkahn retten, anschließend hangelt er sich am Gestänge der S-Bahnbrücke Friedrichsstraße entlang. Konspirative Mitternachtstreffen hielt der Agent im Berliner Club "Café Moskau" an der Karl Marx Allee ab.
Auch wenn die Orte lediglich als Hintergrund herhalten (laut Drehbuch spielt die Geschichte in Moskau): Die Kreativindustrie ist ein Nährboden der Stadt. In den Filmstudios der Region entstehen seit Jahrzehnten Kino- und Spielfilme, Fernsehserien und -reihen. Derweil bilden die ansässigen Filmhochschulen den Nachwuchs aus. Das Berlinale-Team sichtete für dieses Jahr über 5000 Bänder - so viele wie nie zuvor.
Kameras vor der Haustür sind Alltag
Doch Berlin ist nicht nur Festivalstadt und Kinoplattform, sondern zeigt in unzähligen Filmen selbst sein Gesicht. Brandenburger Tor oder Siegessäule, Flughafen Tempelhof oder Osthafen - auch die Berlin-Frischlinge haben das Meiste schon gesehen - auf der Leinwand.
In diesem Berlinale-Jahr organisiert Volkswagen, einer der Hauptsponsoren, eine "Film Location Tour" - eine Stadtrundfahrt zu prominenten Plätzen Berliner Drehkultur. Via Minivan können sich Besucher durch die halbe Stadt kutschieren lassen, die Mammuttour geht quer durch die Bezirke und passiert 35 Schauplätze.
Zum Beispiel die S-Bahn-Bögen in Prenzlauer Berg, Treffpunkt für aufmüpfige DDR-Jugendliche in der DEFA-Produktion "Berlin - Ecke Schönhauser" (1957). Der Film entstand als Antwort auf das westdeutsche Teenie-Porträt "Die Halbstarken".
Ein paar Jahre später waren Drehgenehmigungen schon schwerer zu bekommen: 1961, wenige Monate vor dem Mauerbau, erteilten die Sowjets Billy Wilder eine Abfuhr. Der Regisseur wollte Horst Buchholz für "Eins, zwei, drei" mit dem Motorrad durch das Brandenburger Tor brettern lassen. Nach dem schroffen "njet" musste er improvisieren - und ließ das Tor kurzerhand in den Müncher Bavaria-Studios nachbauen.
Schauplätze im geteilten Berlin waren begehrt, vor allem, wenn der Plot Szenarien des Kalten Kriegs vorsah: Anfang der Achtziger drehte Roger Moore am Grenzübergang Checkpoint Charlie eine Szene für den Bond-Film "Octopussy".
Für die Fixer-Studie "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (1981) fing Bernd Eichinger die authentische Atmosphäre vom Originalschauplatz ein und arbeitete zum Teil mit Laiendarstellern im und um das Bahnhofsgebäude.
Berliner Wahrzeichen bekamen im Kino neue Symbolkraft: Wim Wenders ließ in "Der Himmel über Berlin" (1987) seine Engel Damiel und Cassiel (gespielt von Bruno Ganz und Otto Sander) auf der Siegessäule und dem zerbombten Dach der Gedächtniskirche landen.
Big Ben in Berlin
Der meist bespielte Drehort der Stadt ist jedoch der Flughafen Tempelhof. Nach dem Pentagon und dem Bukarester Parlamentspalast ist das einstige Nazi-Monument das drittgrößte Gebäude der Welt. Und bietet reichlich Raum für kreative Zwischennutzung: Im "Hauptmann von Köpenick" (1956) dient es als Kaserne", in "Was tun, wenn's brennt?" (2001) als geräumiges Polizeipräsidium. Nur in Billy Wilders "Eins, zwei, drei" darf der Flughafen ein Flughafen sein.
Dass der Kinozuschauer bisweilen einer optischen Täuschung unterliegt, beweist unter anderem die Verfilmung von Jules Vernes "In 80 Tagen um die Welt" von 2004. Da gibt sich der Gendarmenmarkt einfach als ein Platz in London aus: Das Konzerthaus wurde zur Royal Academy of Science umdekoriert, der Big Ben in der Nachbearbeitung reingeschummelt.
In Berlin lässt sich für jede Art von Film - ob deutsches Drama, Action-Blockbuster oder Independent-Produktion - ein passender Drehort finden. Besonders die junge Generation deutscher Filmemacher schickt ihre Location-Scouts zum Ausschwärmen in die Hauptstadt. Auf der Leinwand hechelt dann Franka Potente durch die Backsteinbögen der Oberbaumbrücke, oder Christian Ulmen versucht auf dem Trottoir der Kreuzberger "Markthalle" einen bissigen Köter mit Wodka zu besänftigen.
"Lola rennt" (1998) und "Herr Lehmann" (2003) spielen komplett in Berlin, ebenso wie "Sommer vorm Balkon" (2006). So nutzte Andreas Dresen für sein melancholisch-amüsantes Beziehungsdrama die Kiez-Aufnahmen, um das Lebensgefühl im "neuen Berliner Osten" zu illustrieren.
Ostalgie-Welle lockt Filmemacher an
Nach wie vor hält die Stadt architektonisches Bonusmaterial bereit: original Ostblockkulissen. Florian Henckel von Donnersmarck nutzte für seinen Stasi-Film "Das Leben der anderen" (2006) den DDR-Look im Ostteil der Stadt. Das Filmteam um Martina Gedeck, Ulrich Mühe und Sebastian Koch drehte mit Blick auf die Stalin-Bauten an der Karl-Marx-Allee.
Kein Wunder, dass der Drehort Berlin auch von der Ostalgie-Kino-Welle der vergangenen Jahre profitierte. In der Film-DDR von "Good Bye Lenin" (2003) lässt Daniel Brühl Geldscheine von einem Plattenbau am Alexanderplatz regnen oder grübelt im Gemäuer der Kaufhaus-Ruine "Tacheles" beinebaumelnd mit seiner Flamme über den Sinn des Lebens. Für die Grenzgebiets-Komödie "Sonnenallee" (1999) genügten die Originalschauplätze allerdings nicht: Regisseur Leander Haußmann ließ Straße und Mauer in den Studios von Babelsberg rekonstruieren.
Wenn Berlin selbst zur Kinoprotagonistin wird, darf das gefeiert werden. Anlässlich Rainer Werner Fassbinders 25. Todesjahr lädt die Berlinale zu einem 15-stündigen Happening ein: Fassbinders Verfilmung von Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" kommt in der Volksbühne digital aufpoliert auf die Leinwand.
Doch auch wenn die Vielfalt der Berliner Drehorte unerschöpflich scheint: Tom Cruise wollte 2004 für "Mission Impossible 3" Norman Fosters Reichstagskuppel bespielen - und scheiterte. "Der Bundestag ist und bleibt ein besonderer Ort und soll nicht für kommerzielle Zwecke vermarktet werden", begründete der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse kühl.