Jazz im Kalten Krieg Die Freiheit ausposaunen
1957 verurteilte ein Gericht in Leipzig den Dozenten für Gesellschaftswissenschaften, Reginald Rudorf, zu zwei Jahren Zuchthaus. Ihm wurde vorgeworfen, unter dem Deckmantel des Jazz die Ordnung der DDR zu unterminieren und das im Auftrage westlicher Imperialisten. Die letzte Anschuldigung fanden die ostdeutschen Jazzfans besonders lächerlich. Denn der SED-Genosse Rudorf wetterte zwar gegen hirnlose Funktionäre und träumte von einem toleranteren Sozialismus, aber ferngesteuert hatte den bestimmt keiner. Die Idee, dass der Westen den Jazz als Waffe im Kalten Krieg nutzen würde, galt als Wahnvorstellung stalinistischer Dogmatiker.
Heute wissen wir, dass der Jazz im Wettkampf der Systeme sehr wohl gezielt eingesetzt worden ist. Das belegen Dokumente; und die amerikanische Professorin für Geschichte und Afro-Amerikanische Studien, Penny von Eschen, beschreibt in einem Buch ("Satchmo Blows Up The World Jazz Ambassadors Play The Cold War"), wie die US-Regierung Tourneen von Bands in den Ostblock und in Länder der Dritten Welt finanzierte.
Denn der Konflikt um die Vorherrschaft auf dem Globus wurde nicht nur mit dem Droharsenal von Düsenjägern und Raketen ausgefochten es gab auch einen Wettstreit der Kulturen, und in dem haben Künstler wie Louis Armstrong und Benny Goodman entscheidend mitgespielt.
Der Gedanke, mittels Jazz für Amerika zu werben, stammt von dem schwarzen Kongressabgeordneten Adam Clayton Powell aus Harlem, New York. Weil die USA dem Bolschoi-Ballett und klassischen Violinen-Virtuosen wie David Oistrach nichts Gleichwertiges entgegensetzen könnten, schlug Powell 1955 vor, lieber auf Amerikas ureigene Musik zu bauen, den Jazz.
Die Regierung nahm die Anregung auf und schickte fortan Dizzy Gillespie, Dave Brubeck, Duke Ellington, Benny Goodman und Louis Armstrong in den Ostblock und in die von Moskau wie Washington umworbenen neuen Staaten in Afrika und Asien. Gleichzeitig strahlte die staatlich finanzierte "Voice of America" die tägliche Jazzsendung "Music USA" über Kurzwelle rund um den Globus.
Radioprogramme wie Konzerte fanden ein überwältigendes Echo. Allein in Osteuropa sollen schätzungsweise 30 Millionen Menschen die Jazzsendung des populären Moderators Willis Conover gehört haben mit verblüffenden Folgen: "Die russischen Fans klangen alle wie Willis Conover", erzählte Dave Brubeck nach seiner ersten Tournee durch die Sowjet-Union. In Afrika füllten Hunderttausende Fußballstadien, wenn US-Jazzstars auftraten. In Athen wurde Dizzy Gillespie von Studenten im Triumph durch die Straßen getragen, die vorher das US-Informationszentrum mit Steinen beworfen hatten aus Protest gegen Washingtons Anerkennung des griechischen Obristen-Regimes.
"Propaganda im Bauch"
Den Erfolg der Jazz-Botschafter summierte das Magazin "New Yorker" 1958 in einer Karikatur: Bei einer Herrenrunde im Weißen Haus über eine "äußerst delikate diplomatische Mission" fragt der Vorsitzende: "Sollen wir (Außenminister) John Foster Dulles schicken oder Satchmo (Louis Armstrong)?"
Kein Wunder, dass die Amerikaner an möglichst umfassendem Kulturaustausch interessiert waren, während Moskauer Ministerien vor "trojanischen Pferden mit Propaganda im Bauch" warnten.
Tatsächlich gaukelten die durchweg aus schwarzen und weißen Musikern bestehenden Bands der Welt ein Amerika vor, das bestenfalls im Jazz-Milieu existierte. Zu Hause in Little Rock, Arkansas verteidigte die Nationalgarde noch 1957 die Rassentrennung und verwehrte schwarzen Kindern den Zutritt zu integrierten Schulen. Dagegen protestierte öffentlich der weitgehend als unpolitisch geltende Louis Armstrong; "Ambassador Satch" weigerte sich in jenem Jahr in die UdSSR zu reisen.
Wie Armstrong ließen sich auch die anderen Jazzgrößen durch die staatlich geförderten Tourneen keineswegs zum tumben Hurra-Patrioten verbiegen. Im Gegenteil: Die Jazzmusiker nutzten ihren erfolgreichen internationalen Einsatz, um zu Hause Rechte als Bürger und Anerkennung als Künstler einzufordern. "Die Idee, Amerika zu vertreten, gefiel mir", sagte Dizzy Gillespie, "aber das bedeutete mitnichten, dass ich Amerikas rassistische Politik verteidigen würde."
Solche Haltung imponierte den Menschen in totalitären Staaten. "Die US-Regierung kann ihre Neger nicht niederhalten", zitierte damals die "New York Times" einen jungen Moskauer, "und wir lassen uns nicht deren Musik verbieten." Zweifellos förderte der Jazz das Entstehen einer Gegenkultur. Amerikas improvisierte Musik stand für Rebellion und Freiheit - das lässt sich hören, bis heute.