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"Tatort" als Western-Persiflage: Westlich von Weimar

Foto: MDR/ Anke Neugebau

ARD-Neujahrskrimi Der Weimar-"Tatort" im Schnellcheck

Kommissarin Dorn gibt im Saloon die Marlene Dietrich, Kollege Lessing wird geteert: Der Weimar-"Tatort" ist eine Persiflage auf Westernfilme und Western-Erlebnisparks. Aufsatteln, mitreiten!
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Das Szenario:

Eine Handvoll Dollar für El Doroda. Das Westernstädtchen nahe Weimar steht offenbar zum Verkauf, unter dem Gelände sollen seltene Erden lagern. Das Lebendinventar des maroden Erlebnisparks spielt das Lied vom Tod, um sich gegen die Abwicklung zu wehren. Dem Geschäftsführer von El Doroda wird nachts von aufgebrachten Saloon-Damen und Kuhtreibern eine Schlinge um den Hals gelegt; der Besitzer, ein Indianer mit Vollbart namens Einsamer Wolf, wird am nächsten Morgen tot aus der Ilm gefischt. Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) - sie hat zwei Fäuste und nutzt sie auch, er kann nicht mal Halleluja singen - versuchen in El Doroda aufzuräumen.

Der Clou:

Rest-World statt Westworld: Die Rebellion vom Western-Vergnügungsparkpersonal kennt man ja aus der gefeierten Sci-Fi-Serie; in dem "Tatort" proben nun nicht ausgebeutete Androiden, sondern ausgebrannte Ostdeutsche den Aufstand. Eine Persiflage im doppelten Sinne, die mit tragikomischer Grandezza sowohl Erlebnisgastronomie als auch Westernromantik ins Visier nimmt. Im Saloon gibt es Tauben-Eintopf und Longhorn-Geschnetzeltes, und der von Peter Kurth ("Babylon Berlin") gespielte Brutalo-Sheriff wird in Szene gesetzt wie John Wayne bei seinen letzten gichtigen Shoot-Outs. Etwa in Howard Hawks' Spätwestern - Obacht! - "El Dorado".

Das Bild:

Im knieflachen Morast der Ilm, wo auch der tote Indianer treibt, trainiert Schupo Lupo für eine Kampfdisziplin namens "Thüringer Ultra-Man". Als die Forensiker Tatort-Fotos machen, posiert der Spargeltarzan mit Badekappe eitel. Später kommt er ins Revier gerannt und jubelt: "Falls es jemanden interessiert, ich bin schon 200 Meter geschwommen und drei Kilometer geradelt. Ich bin fit wie ein Kormoran."

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"Tatort" als Western-Persiflage: Westlich von Weimar

Foto: MDR/ Anke Neugebau

Der Spruch:

"Der Heinz hat schon immer Geschäftssinn gehabt. Auf der Schule hat er mit erotischem Material aus dem Westen gehandelt. In Wirklichkeit war es aber Material von seiner zeigefreudigen Tante Carmen aus Hiddensee." So charakterisiert der Weimarer Polizeichef den El-Dorada-Geschäftsführer, den er schon aus DDR-Schultagen kennt.

Der Song:

"The Boys In The Backroom" von Marlene Dietrich. Den US-Army-Durchhalte-Hit, den Dietrich zur Truppenbetreuung während des Zweiten Weltkriegs gesungen hat, bietet Kommissarin Lessing hier Undercover als Cowgirl dar, Saloon-Piano inklusive. Insgesamt ist sie fast so lässig wie Dietrich selbst in der Western-Oper "Rancho Notorious" .

Die Bewertung:

9 von 10 Punkten. Dorn gibt die Dietrich, Lessing wird am Ende geteert, hier stimmt einfach alles. Von den bedrohlichen Tremolo-Gitarren im Soundtrack bis zur Irisblende ganz am Ende: Dieser Thüringer "Tatort" ist ein formvollendeter Eastern.

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Fotostrecke: Alle "Tatort"-Teams im Überblick

Foto: Marcus Höhn / NDR