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China: Wassermassen und Dürre

Foto: REUTERS/ China Daily

Wetterkatastrophen Dürre und Flut peinigen China

Es war die schlimmste Dürre seit 60 Jahren: Über Monate trockneten zwölf chinesische Provinzen förmlich aus, im Boden klaffen riesige Furchen, die Bürger leiden noch immer unter der Trockenheit. Doch die Natur gönnt ihnen keine Ruhe - nun folgten heftige Regenfälle.
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Millionen von Chinesen sind jedes Jahr Opfer von Wetterkatastrophen: Im Winter und im Frühjahr trocknen weite Landstriche aus, weil es zu wenig regnet. Seen und Flüsse schrumpfen, Pflanzen verdorren, im Boden klaffen tiefe Furchen. Im Sommer dann öffnet der Himmel seine Schleusen, sintflutartiger Regen prasselt auf die Erde, Flüsse treten über ihre Ufer, Deiche brechen, Menschen und Vieh werden fortgespült.

So einen Regen erlebten Zentral- und Südchina in den vergangenen Stunden. Rund 60.000 Menschen mussten in der Provinz Guizhou vor den Wassermassen evakuiert werden, insgesamt sind allein in dieser Region bislang über 200.000 Menschen betroffen. In der Provinz Hunan mussten 16.000 in Sicherheit gebracht werden. 21 Menschen kamen nach offiziellen Angaben ums Leben, 37 werden vermisst.

Eine positive Folge der schweren Regenfälle, die nach Schätzung von Meteorologen bis Mitte des Monats andauern werden: Die Trinkwasser-Reservoire für rund eine Million Menschen füllen sich wieder. Allerdings leiden auch nach den jüngsten Wolkenbrüchen noch 2,1 Millionen Menschen an Wassermangel, für sich, ihr Vieh und ihre Felder.

Große Teile Chinas erleben derzeit die schlimmste Dürre seit rund 60 Jahren. Sie begann schon im Winter und traf zwölf Provinzen, Besonders am Mittel- und Unterlauf des Yangtse. Die Not treibt bereits die Lebensmittelpreise in die Höhe.

Dies ist ein neues Phänomen: Nicht mehr nur der Norden, sondern auch der Süden der Volksrepublik leidet unter Dürre. In den südlichen Regionen fiel in diesem Jahr im Schnitt um die Hälfte weniger Regen als früher.

Damit ist auch ein Mammutprojekt der Pekinger Regierung in Frage gestellt: Die sogenannte "Süd-Nord-Wasserumleitung", durch die schon bald gewaltige Wassermassen aus dem Yangtse bis in die Hauptstadt und die umliegenden Provinzen gepumpt werden sollen. Geschätzte Kosten des Projekts: rund 62 Milliarden Dollar.

Die Wassernot ist chronisch - und sie behindert die Kohleförderung

Doch wenn der Yangtse selbst immer weniger Wasser führt, wie kann er dann den Norden retten? Die jüngste Trockenheit sollte die "Alarmglocken schrillen lassen", sagt Ma Jun, ein renommierter Umweltexperte.

Schuld an der Dürre ist laut vielen chinesischen Fachleuten das größte Wasserkraftwerk der Welt, der Drei-Schluchten-Damm, der den Yangtse staut. Sie sind davon überzeugt, dass die Mauer die heikle Balance zwischen dem Fluss, seinen Nebenarmen und den damit verbundenen Seen zerstört.

Der Wasserspiegel einiger für das ökologische Gleichgewicht wichtiger Seen wie dem Dongting-See ist bereits kräftig gesunken. Ende Mai war er fast um die Hälfte seiner Fläche geschrumpft, Fischerboote hatten kein Wasser mehr unter dem Kiel. Auch der Poyang, größter See Chinas, wird kleiner. Dort, wo früher Wasser an seine Ufer schwappte, üben jetzt Fahrschüler Autofahren.

"Es ist höchste Zeit, die negative Rolle des Drei-Schluchten-Damms zu untersuchen", sagt Ma.

Im Mai räumte der Staatsrat in einer von Premier Wen Jiabao unterzeichneten Erklärung erstmals Probleme bei der Planung und bei den Folgen des Drei-Schluchten-Damms ein.

Gleichzeitig betonen die Behörden weiterhin die Vorteile des Damms: Er habe die Dürre am Unterlauf gelindert, indem er seine Schleusen öffnete. "Experten: Es gibt keinen Beweis, dass der Damm Dürre verursacht", lautete jüngst eine Schlagzeile der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua.

Peking sieht die größten Ursachen der Trockenheit im Wetter und in undichten Reservoirs, die zu viel Wasser verlieren. Oberhalb des Drei-Schluchten-Stausees will die Regierung deshalb schon bald den Bau zwölf weiterer Dämme beginnen.

Die KP steht vor einem Dilemma: Die Wassernot im Norden ist chronisch - aber gerade dort, vor allem in der Inneren Mongolei, lagern riesige Kohlevorkommen, die den größten Teil des gewaltigen chinesischen Energiebedarfs decken. Um die Kohle zu waschen und zu verarbeiten sind jede Stunde enorme Wassermengen erforderlich.

Nun sind Wissenschaftler auf eine Idee gekommen, die dem kühnen Nord-Süd-Umleitungsprojekt ähnelt: Sie wollen Meerwasser aus der Bohai-See östlich von Peking entsalzen und in einer Pipeline ins Innere des Landes pumpen - über eine Strecke von 600 Kilometern bis auf eine Höhe von 1400 Metern.