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Mit der Kamera zur See Prominenz auf Planken

Marlene Dietrich, Max Schmeling, Fred Astaire - auf dem Erste-Klasse-Deck der großen deutschen Luxusliner tummelten sich in den dreißiger Jahren die Größen aus Film, Musik und Politik. Sie alle posierten vor der Linse des Bordfotografen Richard Fleischhut. Eine Reminiszenz in Schwarz-Weiß.
Von Marcus Müller
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Richard Fleischhut war schon seit Jahren anerkannter Bordfotograf beim Norddeutschen Lloyd, als eine der Schönen ihn provozierte. Fleischhut hatte die Schauspielerin Marlene Dietrich an Bord des Luxusliners "Bremen" abgelichtet. Doch die Diva war nicht von Kopf bis Fuß auf Liebe oder gar das Bezahlen der Bilder eingestellt, obwohl es anders vereinbart war. Doch der "blaue Engel" erschütterte das Selbstbewusstsein des Fotografen nicht: "Wie haben Sie sich das denn gedacht", protestierte Fleischhut, "soll ich für Sie den Brotkorb für meine Kinder höher hängen?"

So erzählt Fleischhuts Enkelin Ingrid Peckskamp-Lürßen von den Begegnungen ihres Großvaters mit den Prominenten an Bord. Die Reaktion der Dietrich ist leider nicht überliefert, und sie war auch die Ausnahme. Denn zu einigen der Objekte vor dem Objektiv seiner Leica-Kamera hatte Fleischhut ein freundschaftliches Verhältnis. "Besonders zu den Musikern", da er selbst Geige spielte, erzählt die Enkelin. Zu einem echten Zerwürfnis mit der Dietrich kam es auch nicht. Fleischhut fotografierte sie später noch mehrmals - elegant an die Reling gelehnt oder als Zuschauerin einer Rhönrad-Vorführung.

Die Porträts der Prominenten sind Teil der Ausstellung "Faszination des Augenblicks – Eine Technikgeschichte der Fotografie" im Deutschen Technikmuseum Berlin. Dort sind ab heute die von den Negativen oder Abzügen digital aufbereiteten Bilder Fleischhuts zwischen den einst klobigen Apparaten aus der Anfangszeit der Fotografie oder kleinsten Spionagekameras zu sehen.

Mondänes Bordleben der Dreißiger

Fleischhuts Nachlass in Schwarz-Weiß hat Enkelin Peckskamp-Lürßen vor gut zwölf Jahren wieder aus der Versenkung gehoben. Seit Fleischhuts Tod 1951 lagerte der Nachlass aus gut 6000 Negativen bei dessen Tochter in mehreren Alben und etlichen Kisten. Zum Vorschein kam eine Chronik, die die große Ära der deutschen Passagierschifffahrt mit ihrem mondänen Bordleben aufblättert. Fleischhut war dabei, als die "Bremen" auf ihrer Jungfernfahrt 1929 das Blaue Band für die schnellste Atlantiküberquerung errang. Er lichtete Luis Trenker ab, wie er sich im Trenchcoat eine Pfeife anzündet, Max Schmeling, der in die Ferne blickt oder den damaligen Bürgermeister New Yorks mit einem Hündchen auf dem Arm.

Fleischhut bringt aber auch Bilder von damals exotischen Zielen in Südamerika, Afrika und Japan mit von der Reise. Und er fotografiert - teils avantgardistisch - die Schiffe in rauer und ruhiger See, im Trockendock oder vor der Skyline Manhattans. Es sind Sehnsuchtsbilder für die Daheimgebliebenen, von einem Mann, der sein Geld eigentlich zuckersüß hatte verdienen wollen.

Denn der 1881 in Köslin in Pommern geborene Fleischhut machte nach einer Fotografen-Lehre in Stettin eine Ausbildung zum Konditor. Als Zuckerbäcker ging er 1905 auch nach Bremerhaven, um dort auf der "Kronprinz Wilhelm" anzuheuern. Erst als die Arbeit in der Kombüse seiner Gesundheit immer mehr zusetzte, widmete sich Fleischhut ganz der Fotografie. Der Erste Weltkrieg unterbrach die Tätigkeit auf See, und Fleischhut fotografierte an der Front. Danach kehrt er bald zum Norddeutschen Lloyd zurück und erlebt auf der "Bremen" die Höhepunkte seiner Karriere.

Eine besondere Form der Seekrankheit

Fleischhut unterhält ein eigenes Atelier und ein Labor mit zwei Gehilfen auf dem Schiff. Gut fünf Tage dauert die Schiffspassage von Bremerhaven nach New York, die Fleischhut mehr als 150 Mal mitmacht und den Bordfotografen in sein Element versetzt. Er bezeichnet sich selbst als "Seelöwen" und ist beliebt bei der Prominenz.

Fleischhut unternimmt auch längere Fahrten, einmal rund um Afrika oder ins Nordmeer etwa. Doch mögen das damals auch noch so exotische und für normale Bürger kaum erschwingliche Reiseziele sein, Fleischhut zeigt eine besondere Form der Seekrankheit - Sehnsucht nach seiner Frau Florentine und den zwei Kindern.

Mit "geliebter Schatz" fangen die Briefe der Eheleute immer an und "es gibt nicht einen Bezug zu den Prominenten", erzählt die Enkelin. "Er fragt seine Frau, ob Apfelsinen angekommen seien, die er geschickt hat, und er hat immer wieder ‚Ich höre auf’ geschrieben." Allerdings glaubt die Enkelin dem Großvater die Rolle der Haderers nur bedingt: "Wahrscheinlich wäre seine Sehnsucht nach dem Meer genauso groß gewesen, wenn er an Land geblieben wäre."

Den Nationalsozialisten gefällt die Tätigkeit Fleischhuts nicht, und sie bezichtigen ihn des auffällig freundlichen Verhaltens zu Prominenten, womit Juden gemeint sind. 1937 muss er die "Bremen" verlassen. Er heuert auf dem damals größten Kreuzfahrtschiff "Columbus" an und erlebt die angeordnete Selbstversenkung im Dezember 1939 auch als berufliche Katastrophe: Sein Bordarchiv verbrennt und versinkt.

Und die Dokumente einer vergangenen Reisekultur und des Müßiggangs der Prominenten nehmen bei Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg weiteren Schaden oder gehen ganz verloren. Immerhin: Was übrig blieb, wird als Ausstellung vielleicht bald über Paris auch New York erreichen, die Sehnsuchtsstadt Fleischhuts.


"Mit der Kamera in die Welt – der Bordfotograf Richard Fleischhut". Deutsches Technikmuseum Berlin. Bis zum 10. Juni 2007.

"Faszination des Augenblicks – Eine Technikgeschichte der Fotografie". Dauerausstellung, Deutsches Technikmuseum Berlin. Mehr Informationen unter www.dtmb.de.

Ingrid Peckskamp-Lürßen: "Der Bordfotograf Richard Fleischhut". Hermann Haarmann (Hrsg.); 296 Seiten, 317 Abbildungen, 36 Euro.