wissen.de Artikel
Ein echter Sonderling: Wie die Erde zu ihrem Mond kam
Mit dem Rätsel der Mondentstehung befassen sich Astronomen seit Jahrhunderten. Populäre Theorien umfassen die Abspaltungstheorie, nach der sich der Mond von der schnell rotierenden Erde löste, die Einfangtheorie, der zufolge sich die Erde einen bereits existierenden Mond einfing, und die Koakkretionstheorie, die besagt, dass Erde und Mond in unmittelbarer Nachbarschaft entstanden.
Kollisionstheorie – ein folgenschwerer planetarer Crash
Seit etwa vierzig Jahren gilt aber die sogenannte Kollisionstheorie als beste Erklärung für die Entstehung des Mondes. In diesem Szenario kollidierte die junge Erde vor etwa 4,5 Milliarden Jahren mit einem marsgroßen Protoplaneten, der Theia getauft wurde. Der Name verweist auf die Titanin Theia, die in griechischen Mythologie die Mutter der Mondgöttin Selene ist.
Erde und Theia formten sich demnach etwa zur gleichen Zeit auf verschiedenen Umlaufbahnen um die Sonne. Die Einflüsse der Nachbarplaneten veränderten dann Theias Umlaufbahn, was letztlich zu einer Kollision mit der Erde führte.
Dieses folgenschwere Ereignis katapultierte große Mengen aufgeschmolzenen und verdampften Gesteins aus der Kollisionszone in den Orbit. Dort klumpten sich die erstarrten Trümmer mit der Zeit zusammen und bildeten unseren Mond. Auf der Erde vermischten sich die dort verbliebenen Überreste Theias mit dem Erdgestein. Die Gravitation beseitigte schließlich über Milliarden von Jahren die „Blechschäden “ und sorgte dafür, dass sowohl Erde als auch Mond heute fast kugelrund erscheinen.
Wie schlüssig ist die Theorie?
Soweit die Theorie. Aber gibt es auch Belege oder gar Beweise dafür? Hier wird es richtig kniffelig.
Weil der Mond der Kollisionstheorie zufolge überwiegend aus Theia-Material besteht, müsste er eine von der Erde abweichende Zusammensetzung haben. Besonders aussagekräftig sind bei solchen Vergleichen die Mengenverhältnisse, in denen bestimmte Isotope in einem Himmelskörper vorliegen. Isotope sind Varianten desselben Elements, die sich allein durch die Anzahl ihrer Neutronen im Atomkern – und damit durch ihr Gewicht – unterscheiden. Im jungen Sonnensystem waren die Isotope nicht überall gleich verteilt und ihre Zusammensetzung liefert daher Informationen über die Herkunft.
Leider fand man bei Untersuchungen von Gesteinsproben der Apollo-Missionen weniger deutliche Unterschiede als erwartet. Mond und Erde haben nahezu identische Isotopenwerte – sowohl bei den untersuchten Metallen als auch bei Wasserstoff und Sauerstoff.
Zurück an die Arbeit
Was stimmt also nicht mit der Theorie? Entweder waren Erde und Theia „chemische Zwillinge“ oder aber die Materie beider Himmelskörper durchmischte sich beim Aufprall vollständig. Beides wäre möglich, ist aber unwahrscheinlich.
Neuere Untersuchungen ergaben dann aber, dass tief aus dem Mondmantel stammende Gesteinsproben, die bei Meteoriteneinschlägen an die Oberfläche gelangten, mehr schwere Sauerstoffisotope als irdisches Gestein aufweisen. Demnach bestünde das Innere des Mondes aus den schweren Überresten Theias, während die Oberfläche überwiegend aus irdischem Material gebildet wurde.
Und Theia hat wohl auch auf der Erde bleibende Spuren hinterlassen: Seismische Untersuchungen wiesen mehrere gewaltige Anomalien im Erdmantel nach. Die tausende Kilometer weiten Zonen haben eine höhere Dichte und Temperatur als das umgebende Mantelmaterial. Das passt zu neuen Analysen der Apollo-Proben, wonach Theia vermutlich einen stark eisenhaltigen, dichteren und damit schwereren Mantel als die Erde hatte. Die Reste des Protoplaneten sanken deshalb im Laufe der Erdgeschichte bis zur Kern-Mantel-Grenze ab, wo sie die heute nachweisbaren Anomalien bilden.
Und woher stammt Theia?
Bleibt noch die Frage, woher Theia stammte. Eine aktuelle Studie ging dieser Frage nach und versucht, die ursprüngliche Position in der solaren Urwolke einzugrenzen. Neben irdischen und lunaren Proben wurden diesmal auch verschiedene Meteoriten in die Untersuchungen einbezogen.
Die Meteoriten dienten dabei als Ortsmarker: Ihre Zusammensetzung spiegelt die Isotopenverteilung ihrer Ursprungsorte im frühen Sonnensystems wider. Mond- und Erdgesteine erwiesen sich in Bezug auf Eisenisotope als nahezu identisch – unterscheiden sich aber von aus dem äußeren Sonnensystem stammenden Meteoriten. Damit bestätigt sich, dass das Material beider Himmelskörper aus dem inneren Sonnensystem stammt – Erde und Theia waren wohl Nachbarn.
Das erklärt auch, warum heutige Erde- und Mondgesteine große Ähnlichkeit aufweisen. Einen Unterschied gibt es aber doch: Der Protoplanet Theia enthielt offenbar einige Isotope, die in größerer Sonnennähe entstanden sind als das irdische Material. Er dürfte demnach knapp innerhalb der Erdbahn um die Sonne gekreist haben, bevor er mit der Urerde zusammenstieß und zerstört wurde.
Die Kollisionstheorie passt damit dank einer Reihe von Modifikationen weiterhin zu allen Beobachtungen und konnte in ihrer mehr als 40-jährigen Geschichte nicht widerlegt werden.