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Male Loneliness Epidemic: Werden Männer immer einsamer?

Wer aktiv auf Social Media-Plattformen wie Instagram oder TikTok unterwegs ist, hat es wahrscheinlich schon mitbekommen: Wir stecken angeblich mitten in einer „Male Loneliness Epidemic“ oder zu Deutsch „Epidemie der männlichen Einsamkeit“. Laut dieser Internet-Theorie sind Männer häufiger einsamer als Frauen, Tendenz steigend. Doch stimmt das wirklich?
CMA, 25.10.2025
Symbolbild männliche Einsamkeit

© KatarzynaBialasiewicz, iStock

„Die Male Loneliness Epidemic ist real und ich bin es leid, dass die Leute so tun, als wäre sie es nicht. […] Männer leiden“, heißt es in einem Video von TikTok-Nutzer „baxate_carter“. Die Idee, dass Männer besonders stark unter Einsamkeit leiden, ist in den sozialen Medien in den vergangenen Jahren stark aufgekommen.

Die Meinungen zu dem vermeintlichen Phänomen gehen jedoch weit auseinander. Feministische Gruppen weisen darauf hin, dass in manchen Diskussionen problematische Narrative auftauchen: Frauen seien etwa verantwortlich für die Einsamkeit der Männer. Auf der anderen Seite berichten Männer selbst, dass sie in Gesprächen über Einsamkeit oft nicht ernstgenommen werden oder das Gefühl haben, ihre Sorgen würden heruntergespielt.

Das soziale Netzwerk der Männer schrumpft

Doch wie stark ist das Problem wirklich? Die Vertreter der Male Loneliness Epidemic zitieren häufig Umfragen wie die „American Perspectives Survey“, deren Ergebnisse zeigen: Vor drei Jahrzehnten hatten 55 Prozent der Männer in den USA mindestens sechs enge Freunde. Bis 2021 sank dieser Anteil auf nur noch 27 Prozent, während inzwischen 15 Prozent der Männer überhaupt keine engen Freunde mehr haben. Das ist eine Verfünffachung gegenüber 1990. Damit hat sich das soziale Netzwerk von Männern deutlich stärker verkleinert als das von Frauen.

Das klingt erstmal wie ein plausibles Indiz, dass Männer einsamer sind. Doch damit macht man es sich zu einfach. Die Forschung zum Thema Einsamkeit ist deutlich komplexer, als nur die Anzahl der Freunde zu erfragen. Denn Einsamkeit entsteht, wenn Menschen feststellen, dass ihre sozialen Kontakte seltener oder weniger zufriedenstellend sind, als sie es sich wünschen.

Selbst wer viele Freunde hat oder verheiratet ist, kann sich einsam fühlen, wenn die Beziehungen als unbefriedigend erlebt werden. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Einsamkeit ergeben sich daher weniger aus der reinen Größe des sozialen Netzwerks, sondern eher aus der Wahrnehmung, ob die eigenen sozialen Bedürfnisse erfüllt werden.

Nur ein Internet-Hype?

Wissenschaftliche Messungen zur Einsamkeit zeigen ein gemischtes Bild: Manche Studien finden mehr Einsamkeit bei Männern, andere bei Frauen, wieder andere sehen keinen Unterschied. Meta-Analysen wiederum, die viele Studien zusammenfassen, zeigen insgesamt kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Generell ist die Forschungslage dazu, welchen Einfluss das Geschlecht auf Einsamkeit hat, noch begrenzt und unklar.

Interessant wird es allerdings, wenn man die Art der Einsamkeit betrachtet: Eine deutsche Umfrage von 2024 deutet darauf hin, dass Frauen häufiger unter emotionaler Einsamkeit leiden, während Männer eher von sozialer Einsamkeit berichten. Unter emotionaler Einsamkeit versteht man das Bedürfnis nach engeren, intensiveren Beziehungen, während soziale Einsamkeit bedeutet, dass Menschen sich mehr Kontakte oder ein größeres soziales Netzwerk wünschen.

Was führt wirklich zu Einsamkeit?

Unabhängig vom Geschlecht bestehen weitere demografische Risikofaktoren, bei denen das Bild klarer ist. Das Einsamkeitsrisiko ist demnach erhöht für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, für diejenigen, die allein ohne weitere Erwachsene im Haushalt leben, sowie für Personen, die nicht erwerbstätig sind, zum Beispiel wegen Elternzeit oder Ausbildung. Auch der Wohnort spielt eine Rolle: In Ostdeutschland Lebende sind etwas stärker gefährdet, sozial einsam zu sein, ebenso Menschen, die in kleineren Städten oder Vororten leben. Besonders betroffen sind zudem junge Menschen.

Gesundheitliche Probleme erhöhen das Risiko zusätzlich – und Einsamkeit selbst wirkt sich wiederum negativ auf die Gesundheit aus. Sie kann zu Depressionen, Schlafstörungen oder einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Einsamkeit ist also sowohl Ursache als auch Folge, was zeigt, wie komplex das Phänomen ist.

Insgesamt lässt sich also sagen, dass es kaum wissenschaftliche Hinweise für eine besondere Einsamkeit der Männer gibt – die Realität ist komplexer und hängt von der Art der Einsamkeit und individuellen Lebensumständen ab. Glücklicherweise kann jeder etwas dagegen tun, sei es durch engere Beziehungen, stärkere soziale Netzwerke oder einfach mehr Aufmerksamkeit füreinander.

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