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Welche Folgen hat die Führerschein-Reform?
Schon seit Jahren drängen Fachleute und Verkehrspolitiker darauf, die EU-weiten Führerscheinregelungen zu modernisieren. Die bisherigen Vorschriften stammten in Teilen noch aus den 2000er-Jahren – aus einer Zeit, in der weder digitale Führerscheine noch E-Scooter oder Fahrassistenzsysteme eine Rolle spielten. Nun hat das Europäische Parlament neue Regeln beschlossen, mit denen alles einheitlicher und moderner werden soll. Ziel ist vor allem, die Verkehrssicherheit in der EU zu verbessern. Denn noch immer sterben jedes Jahr fast 20.000 Menschen auf Europas Straßen. Gleichzeitig soll die Reform den Alltag vieler Fahrer vereinfachen.
Was ändert sich?
Die neue Richtlinie bringt einige handfeste Neuerungen mit sich. Zentral ist der digitale Führerschein, der künftig auf dem Smartphone gespeichert werden kann und in der ganzen EU gelten soll. Wer möchte, kann aber weiterhin eine Plastikkarte behalten. Auch bei der Ausbildung ändert sich etwas: Fahrschüler sollen künftig stärker für Gefahren im Straßenverkehr sensibilisiert werden – etwa auf den toten Winkel, die Ablenkung durch Smartphones oder den Schutz von Fußgängern, Radfahrern und Kindern.
Außerdem wird das begleitete Fahren ab 17 Jahren EU-weit eingeführt. Was in Deutschland längst Standard ist, soll nun in allen Mitgliedsstaaten gelten. Für viele gilt das als Erfolgsmodell: Wer unter Aufsicht Fahrpraxis sammelt, fährt später sicherer. Dazu kommt eine europaweit einheitliche Probezeit von mindestens zwei Jahren. Wer in dieser Zeit mit Alkohol oder Drogen am Steuer erwischt wird, muss mit strengeren Strafen rechnen. Einen Schritt weiter geht die Reform beim Thema Sanktionen: Künftig kann ein Führerscheinentzug EU-weit wirksam werden. Wer also zu Hause seinen Lappen verliert, soll ihn nicht einfach in einem anderen Mitgliedsstaat weiter nutzen dürfen.
Ein weiteres Streitthema hat Brüssel dagegen entschärft: Pflicht-Gesundheitstests für ältere Fahrer kommen nicht. Stattdessen dürfen die Mitgliedsstaaten selbst entscheiden, ob sie ärztliche Untersuchungen oder freiwillige Selbstauskünfte verlangen. Und schließlich betrifft die Reform auch Freizeitfahrer: Wer die Führerscheinklasse B besitzt, darf künftig Wohnmobile bis 4,25 Tonnen lenken – sofern er eine zusätzliche Schulung absolviert hat. Eine praktische Anpassung, denn viele moderne Camper liegen längst über der bisherigen 3,5-Tonnen-Grenze.
Was die Fachleute sagen
Insgesamt stoßen die neuen Regeln auf viel Zustimmung – bleiben aber nicht ohne Kritik. Der ACE Auto Club Europa etwa begrüßt die Vereinheitlichung und lobt die EU-weite Einführung des begleiteten Fahrens. „Die neue EU-Führerscheinrichtlinie wird die Sicherheit auf Europas Straßen verbessern“, ist sich der ACE-Vorsitzende Sven-Peter Rudolph sicher. „Standardisierungen bei Probezeit und begleitetem Fahren werden jungen Menschen helfen, sicherer unterwegs zu sein. Das begleitete Fahren mit 17 hat sich in Deutschland als voller Erfolg erwiesen.“
Auch der TÜV-Verband sieht in der Reform einen wichtigen Schritt. Besonders positiv bewertet er den digitalen Führerschein und die modernisierte Ausbildung. „Die Mitgliedstaaten sind jetzt gefordert, die technischen Grundlagen zu schaffen. Das Ziel muss ein digitaler Ablauf von der Antragstellung bis zur Erstellung des Führerscheins in einem digitalen Format sein. Aus unserer Sicht ist hier in Deutschland noch sehr viel Arbeit zu leisten“, betont Fachbereichsleiter Richard Goebelt.
Die Interessengemeinschaft European Automobile Clubs (EAC) wiederum hebt die Stärkung der Eigenverantwortung älterer Fahrer hervor. „Wir begrüßen, dass verpflichtende ärztliche Untersuchungen mehrheitlich abgelehnt wurden“, erklärt EAC-Präsident Holger Küster. „Statt Pflichtuntersuchungen sollten ältere Autofahrer durch freiwillige Rückmeldefahrten und Auffrischungskurse sensibilisiert werden – und zwar ohne die Sorge, dass ihnen dabei automatisch der Führerschein entzogen wird.“
Wo die Reform Schwächen hat
Ganz ohne Kritik kommt die Reform aber nicht davon. Viele Fachleute halten es für einen Fehler, dass keine Null-Promille-Grenze für Fahranfänger eingeführt wurde – obwohl Alkohol und Drogen am Steuer zu den Hauptursachen schwerer Unfälle zählen. „Wir hätten uns mehr Klarheit gewünscht: Wer trinkt oder kifft, fährt nicht. Das sollte für alle Fahranfänger in Europa gelten“, sagt Küster.
Auch beim Thema Gesundheitstests für ältere Fahrer bleibt vieles vage. Denn jedes Land kann eigene Regeln aufstellen, was die Einheitlichkeit wieder infrage stellt. Ein weiteres Risiko liegt in der Umsetzung der Reformen. Zwar sollen alle Mitgliedsstaaten den digitalen Führerschein bis spätestens 2030 einführen, aber ob das wirklich so reibungslos klappt, ist offen. Unterschiede in der technischen Infrastruktur oder beim Datenschutz könnten schnell zu einem digitalen europäischen Flickenteppich führen.