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Vierte Neutrinosorte wird unwahrscheinlicher

Astronomie|Physik

Vierte Neutrinosorte wird unwahrscheinlicher
KATRIN
Innenansicht des elektrostatischen Spektrometers im KATRIN-Experiment in Karlsruhe, der weltweit genauesten Neutrino-"Waage". © Michael Zacher/ KIT, KATRIN Collaboration

Neutrinos sind unsichtbar, schwer messbar und geben noch immer Rätsel auf – beispielsweise darüber, ob es neben den drei bekannten Sorten noch eine vierte gibt, die „sterilen Neutrinos“. Jetzt machen neue Daten des KATRIN-Experiments in Karlsruhe diese hypothetische vierte Neutrinosorte sehr unwahrscheinlich. Denn wenn es sie gibt, müssten die sterilen Neutrinos im Energiespektrum von Elektronen aus Tritiumzerfällen einen messbaren „Knick“ hinterlassen. Nach Auswertung von 36 Millionen Elektronenspektren haben die Physiker der KATRIN-Kollaboration aber keinerlei Hinweise auf ein solches Signal gefunden, wie sie nun berichten. Damit ist der größte Teil des Energie- und Massenbereichs für eine vierte Neutrinosorte ausgeschlossen. Die Existenz solcher bisher nicht im Standardmodell erfassten Teilchen wird damit sehr viel unwahrscheinlicher.

Neutrinos sind die häufigsten Materieteilchen im Universum, in jeder Sekunde rasen Milliarden von ihnen durch uns hindurch – ohne dass wir dies bemerken. Denn Neutrinos haben so gut wie keine Masse und wechselwirken nur über die Schwache Kernkraft mit anderen Teilchen. Dadurch sind sie nur schwer nachweisbar. Erschwerend kommt hinzu, dass Neutrinos in drei Sorten vorkommen – physikalisch als „Flavours“ bezeichnet: Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos. Diese können sich buchstäblich im Flug ineinander umwandeln. Diese Neutrino-Oszillation bedingt gleichzeitig, dass die ursprünglich als masselos angenommenen Neutrinos doch eine, wenn auch sehr geringe Masse besitzen müssen. Doch in den letzten Jahrzehnten mehrten sich Hinweise darauf, dass es noch eine vierte Neutrinosorte geben könnte. Diese sogenannten „sterilen“ Neutrinos sollen noch schwächer oder gar nicht mit Materie und anderen Teilchen wechselwirken und sind daher nicht direkt nachweisbar. Sollte es sie jedoch geben, könnten sie eine ganze Reihe bisher unerklärter Phänomene erklären – von den Teilchen der Dunklen Materie bis zur Asymmetrie von Antimaterie und Materie.

Neutrino-„Waage“ fahndet nach der vierten Sorte

Doch bisher ist strittig, ob es diese hypothetische vierte Neutrinosorte gibt. Zwar lieferten Anomalien, die bei einigen Experimenten zur Messung der Neutrinos und ihrer Oszillation aufgetreten sind, Indizien für ihre Existenz. Es zeigten sich leichte Abweichungen in der erwarteten Zahl der detektierten Neutrinos – beispielsweise aus radioaktiven Zerfällen in Kernreaktoren oder beim radiochemischen Nachweis durch Galliumzerfälle. Aber andere Experimente wie der IceCube-Neutrinodetektor am Südpol oder das STEREO-Experiment an einem Forschungsreaktor in Grenoble konnten keine solchen Abweichungen feststellen. „Die Existenz steriler Neutrinos bleibt umstritten, das liegt primär an der Herausforderung, die systematischen Messunsicherheiten und Hintergründe jedes Experiments in Gänze zu verstehen“, erklären die Physiker der KATRIN-Kollaboration. Sie haben deswegen nun Daten des KATRIN-Experiments (Karlsruhe Tritium Neutrino) am Karlsruher Institut für Technologie genutzt, um nach Spuren der vierten Neutrinosorte zu suchen.

In der 70 Meter langen KATRIN-Anlage messen hochsensible Spektrometer den Betazerfall von radioaktivem Tritium. Bei diesem werden ein Elektron und ein Antineutrino frei. Die Energie des Elektrons verrät, wie viel Energie und Masse das Neutrino hat. Eigentlich dient KATRIN dazu, die Masse des Neutrinos so genau wie möglich zu bestimmen. Im Frühjahr 2025 gelang es Physikern so, diese für die Physik und Kosmologie wichtige Größe auf weniger als 0,45 Elektronenvolt zu begrenzen. Doch die hochgenauen Messungen des Energiespektrums der emittierten Elektronen können auch verraten, ob unter den beim Zerfall freiwerdenden Neutrinos auch sterile Neutrinos sind. „Ein solches steriles Neutrino würde im beobachteten Elektronenspektrum eine zweifache Spur hinterlassen: einen erkennbaren Knick und eine allgemeine Verzerrung“, erklären die Physiker der KATRIN-Kollaboration. Für ihre aktuelle Studie haben sie daher die Energiespektren von mehr als 36 Millionen Elektronen ausgewertet, die im Laufe von 259 Messtagen detektiert und gemessen wurden. Das KATRIN-Experiment deckt dabei einen Energie- und Massenbereich der hypothetischen Teilchen von weniger als einem Elektronenvolt bis zu mehrere hundert Elektronenvolt ab.

Messresultate Neutrinos
Die neuen Daten von KATRIN (schwarz) schließen die Hinweise auf sterile Neutrinos, die durch frühere Reaktor- und Gallium-Anomalien nahegelegt wurden, weitgehend aus. © KATRIN Collaboration

Kein signifikantes Signal gefunden

Das Ergebnis: „Es wurde bei der KATRIN-Suche kein signifikantes Signal von sterilen Neutrinos gefunden“, berichtet die Kollaboration. Es konnte weder ein erkennbarer Knick im Energiespektrum der Elektronen, noch eine breitere Verzerrung des Spektrums nachgewiesen werden. Weil das KATRIN-Experiment die Energien der freigesetzten Elektronen mit sub-Elektronenvolt-Präzision und sehr geringem Hintergrundrauschen misst, sei die Zuverlässigkeit dieser Ergebnisse hoch, so die Physiker. Ihre Resultate widersprechen damit früheren Messungen in Reaktor-Neutrino- und Galliumquellen-Experimenten, gleichzeitig beruhen sie auf einer anderen Messmethode. Denn KATRIN misst die Energieverteilung direkt am Entstehungsort, nicht nach einer Flugstrecke mit Neutrino-Oszillation wie viele andere Detektoren. Dadurch eignen sich die KATRIN-Daten als Ergänzung der anderen Mess-Ansätze und liefern so einen aussagekräftigen Test auf sterile Neutrinos. „Unser neues Ergebnis ergänzt Reaktorexperimente wie STEREO in vollem Umfang“, sagt Co-Autor Thierry Lasserre vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg.

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Konkret schließen die neuen Ergebnisse des KATRIN-Experiments nun große Teile des Energie- und Masse-Bereichs aus, in dem sich die sterilen Neutrinos möglicherweise verbergen könnten. Sie widerlegen den Parameterraum, der beim Neutrino-4-Experiment ermittelt wurde, komplett und schließen den größten Teil des Bereichs aus, in dem Reaktor-Neutrino- und Galliumquellen-Experimente mögliche Hinweise auf die vierte Neutrinosorte festgestellt hatten, wie die Physiker der KATRIN-Kollaboration berichten. Die Resultate des STEREO- und KATRIN-Experiments zusammen schließen nun konsequent leichte sterile Neutrinos aus, erklärt Lasserre. Damit wird der Raum, in dem sich sterile Neutrinos noch verstecken könnten, deutlich kleiner und die Wahrscheinlichkeit für ihre Existenz ist stark gesunken.

In Zukunft könnte das KATRIN-Experiment noch striktere Grenzen für die umstrittenen Teilchen setzen. Denn die Messungen laufen weiter. „Bis zum Abschluss der Datenerfassung im Jahr 2025 wird KATRIN mehr als 220 Millionen Elektronen im relevanten Bereich aufgezeichnet haben, wodurch sich die Statistik um mehr als das Sechsfache erhöht“, sagt KATRIN-Co-Sprecherin Kathrin Valerius vom Karlsruher Institut für Technologie. Im Jahr 2026 wird das KATRIN-Experiment zudem mit einem zusätzlichen Detektor aufgerüstet, der die Reichweite von KATRIN auch auf größere Massen der sterilen Neutrinos ausweiten kann. „Damit werden wir ein neues Fenster zum Kiloelektronenvolt-Massenbereich öffnen. In diesem Bereich könnten sterile Neutrinos sogar einen Baustein der dunklen Materie im Universums darstellen“, sagt Co-Sprecherin Susanne Mertens, Direktorin am Max-Planck-Institut für Kernphysik.

Quelle: KATRIN Collaboration, Nature, doi: 10.1038/s41586-025-09739-9

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