Rente: Sollen Akademiker künftig länger arbeiten?

Bernd Müller
Rentner arbeiten in einer Schneiderei.

(Bild: BearFotos / Shutterstock.com)

Ein neuer Vorschlag zur Rente sorgt für Diskussionen: Wer später ins Berufsleben startet, soll länger arbeiten. Was bedeutet das für Akademiker?

Ein Vorschlag des Düsseldorfer Ökonomen Jens Südekum hat eine kontroverse Debatte über die Zukunft der gesetzlichen Rente ausgelöst. Seine Idee: Der Renteneintritt sollte nicht mehr an ein festes Alter, sondern an die Zahl der Beitragsjahre gekoppelt werden.

Mit anderen Worten: Wer früh ins Berufsleben startet, könnte demnach früher in Rente gehen. Für Akademiker, die oft erst nach dem Studium in die Rentenkasse einzahlen, würde das einen späteren Rentenbeginn bedeuten.

Wie Daten des Portals Statista zeigen, erwerben die meisten Studenten mit 24 Jahren ihren Bachelor-Abschluss. Viele wechseln danach in den Job, andere hängen noch ein Master-Studium an, das noch einmal etwa zwei Jahre dauert.

Durch die Bologna-Reform wurde die Studienzeit deutlich verkürzt. Zuvor schlossen Studenten ihr Erststudium etwa mit 27 Jahren ab und fanden den Weg ins Berufsleben. In früheren Zeiten traten gerade junge Männer später ins Erwerbsleben ein, weil sie vor dem Studium noch ihren Wehr- oder Zivildienst abzuleisten hatten.

Politische Unterstützung und Widerstand

In der aktuellen Debatte spielt es aber keine Rolle mehr, dass Hochschulabsolventen jünger geworden sind. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) zeigte sich jedenfalls offen für Südekums Vorschlag.

In der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" sagte sie: "Wer viel einzahlt, kann auch früher gehen. Und die, die erst später einzahlen, wissen, dass sie dann länger arbeiten müssen".

Auch aus der Union kamen zustimmende Signale. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Nicklas Kappe ergänzte, man müsse zwischen verschiedenen Berufsgruppen differenzieren und argumentierte, dass viele Akademiker länger arbeiten könnten.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände lehnt den Vorschlag hingegen ab. Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter bezeichnete ihn als "Neuauflage der Rente mit 63", die falsch sei und falsch bleibe.

Auch das Handwerk positionierte sich gespalten: Während Verbandspräsident Jörg Dittrich die Idee grundsätzlich diskussionswürdig findet, bleiben die Arbeitgeber skeptisch.

Experten warnen vor neuen Ungerechtigkeiten

Der Wirtschaftswissenschaftler Martin Werding vom Sachverständigenrat Wirtschaft widerspricht der Annahme, dass Akademiker bevorzugt würden. Im Gespräch mit dem Spiegel erklärte er: "Akademiker investieren in ihre Ausbildung. Sie hoffen, dass sich das später durch höhere Gehälter auszahlt".

In der Studienzeit würden keine Rentenansprüche aufgebaut, was das System bereits berücksichtige. Die Rente bemesse sich nach eingezahlten Beiträgen, nicht nach reinen Berufsjahren.

Werding betont, dass die eigentliche Herausforderung in der steigenden Lebenserwartung liege. "Länger im Leben zu arbeiten – das ist wegen der steigenden Lebenserwartung ein Thema für alle, nicht nur für Menschen mit höherer Bildung", sagte er.

Er plädiert deshalb dafür, dass das Renteneintrittsalter automatisch an die Lebenserwartung gekoppelt wird. Das betreffe dann alle Berufsgruppen gleichermaßen.

Frauen könnten benachteiligt werden

Die Rentenexpertin Marlene Haupt von der Hochschule München warnt vor unbeabsichtigten Folgen. Der Vorschlag könne neue soziale Ungerechtigkeiten schaffen: Wir würden dann nämlich zu der Logik kommen müssen, "dass dann Männer früher in Rente gehen können als Frauen", erklärte sie dem MDR.

Frauen hätten aufgrund von Kindererziehung und Pflegezeiten oft weniger durchgehende Erwerbsbiografien.

Auch Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge äußerte ähnliche Bedenken. Sie verwies auf die sogenannte Rente mit 63 und betonte, dass Frauen "die Leidtragenden" einer solchen Regelung wären.

Die geschlechtsspezifische Rentenlücke liegt derzeit bei 25,8 Prozent, rechnet man die Hinterbliebenenrenten nicht dazu, dann liegt sie sogar bei 36,9 Prozent.

Wie das Rentensystem funktioniert

Das deutsche Rentensystem basiert auf dem Umlageverfahren, auch "Generationenvertrag" genannt. Die aktuellen Beitragszahler finanzieren die Renten der heutigen Ruheständler. Die Höhe der späteren Rente errechnet sich aus gesammelten Entgeltpunkten, die vom eigenen Einkommen im Verhältnis zum Durchschnittsverdienst abhängen.

Für Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze von 8.050 Euro monatlich werden keine weiteren Beiträge gezahlt. Das Rentenniveau liegt aktuell bei etwa 48 Prozent des Durchschnittslohns.

Experten empfehlen, 70 bis 80 Prozent des letzten Gehalts anzustreben, um den Lebensstandard zu halten. Mit der gesetzlichen Rente ist dieses Niveau aber nicht zu halten, und die entstehende Rentenlücke macht private Vorsorge auch für Akademiker notwendig.

Der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, betonte nach der Verabschiedung des Rentenpakets im Bundestag: "Es geht jetzt erst richtig los". Die Streitpunkte werden jetzt wohl in eine Kommission verlagert, die bis Mitte 2026 Vorschläge für eine grundlegende Reform erarbeiten soll.