Viva Britannia

Vier Jahre hat der deutsche Psychologe Sven Rudloff (@svenrudloff) in Großbritannien gelebt und gearbeitet, dazu unzählige Urlaube zwischen Cornwall und den Highlands verbracht. Die Inselvölker haben ihre liebenswerten Eigenheiten, und es gibt unzählige Missverständnisse über die jeweils andere Seite des Kanals. In kurzen, thematischen Folgen widmet sich Sven seiner zweiten Heimat.

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episode 65: Malerei  

[transcript]


Vom Mittelalter bis zu den Romantikern


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 August 9, 2015  29m
 
 
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Viva Britannia – Der Inselpodcast mit Sven Brutloff
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Herzlich willkommen zu Folge 65 von Viva Britannia, dem Podcast über Großbritannien und die
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Briten.
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In vergangenen Episoden habe ich schon viele Einblicke in die Geschichte der Insel gegeben,
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in ihre Herrscher, Politiker, Wissenschaftler und Kulturschaffenden.
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Es gingen viele Schriftsteller, einige Musiker und gelegentlich Schauspieler.
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Nur über Maler habe ich bisher noch nicht gesprochen.
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Heute will ich das ändern und euch eine erste Auswahl der bekanntesten und interessantesten
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Maler der britischen Geschichte näher bringen.
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Wenn wir heute an britische Maler denken, fällt den meisten zunächst wohl nur William
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Turner ein.
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Das ist gar nicht mal die schlechteste Assoziation, wie wir später sehen werden.
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Aber ist es nicht seltsam, dass für uns die Wahrnehmung britischer Malerei erst im 18.
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Jahrhundert beginnt?
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Tatsächlich ist aus den Jahrhunderten davor nur wenig erhalten geblieben.
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Im Mittelalter war England besonders für Buchmalerei und Tafelbilder bekannt.
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Schon die Angelsaxen taten sich durch aufwendig gestaltete Handschriften hervor und aus der
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Zeit der Normanden gibt es noch einige beeindruckende Werke.
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Darunter ist zum einen die Winchester Bible, die größte erhaltene Bibel aus dem zwölften
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Jahrhundert, mit Seiten, die 60 x 40 cm groß sind.
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Man vermute, dass allein für das Pergament der Bibel rund 250 Kälber ihre Haut lassen
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mussten.
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Das älteste erhaltene Tafelbild der Insel ist das Westminster Retable, das im 13.
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Jahrhundert vermutlich für den Hochaltar der Abtei Westminster gemalt wurde und dort heute
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noch restauriert zu besichtigen ist.
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Man sieht, wie in weiten Teilen Europas war die Malerei des Mittelalters auch auf der Insel
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im Wesentlichen religiöser Natur.
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Nur war die protestantische Reformation im 15.
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Jahrhundert woanders kaum so vehement wie in England.
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Die katholischen Kirchen wurden enteignet und in weiten Teilen zerstört und die religiöse
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Kunst gleich mit ihnen.
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Dieser sogenannte Bildersturm hielt auf der Insel lange Zeit an.
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Während der Renaissance und bis hinein ins 18.
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Jahrhundert erfreute sich die britische Oberschicht natürlich durchaus an Malerei und begann Bilder
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zu sammeln, aber die gefragten Künstler kamen fast alle vom Kontinent, vor allem aus Flandern
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und Italien.
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Schon unter Heinrich VIII. war Hans Holbein die jüngere Hofmaler gewesen und produzierte
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einige der bekanntesten Porträts dieser Zeit.
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Peter Paul Rubens besuchte England oft, sowohl als Diplomat als auch als Künstler.
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Die Universität Cambridge fürdief ihm einen Ehrenmaster und könig Schalz I.
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Schluck Rubens zum Ritter.
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Überhaupt war Schalz I.
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ein bedeutender Kunstsammler.
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Er soll letztlich über 1700 Gemälde besessen haben, darunter Werke von Titian, Raphael,
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Caravaggio, Da Vinci, Tintoretto, Bräugel, Dürer und Rembrandt.
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Nachdem Schalz I.
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zum Ende des englischen Bürgerkriegs 1649 hingerichtet worden war, löste das Parlament
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seine Kunstsammlung auf und sie wurde in alle Winde zerstreut.
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Man sieht, in dieser Zeit war der englische Kunstgeschmack vom Kontinent beherrscht.
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Die sogenannte "Grand Tour" wurde zum festen Bestandteil des Lebens jedes wohlhabenden
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jungen Briten.
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Nach Abschluss der Universität reiste man, je nach persönlichem Geldbeutel, für mehrere
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Monate oder gar Jahre auf einer recht einheitlichen Route vor allem durch Frankreich und Italien,
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auf der Suche nach Kunst, Kultur und den Wurzeln der westlichen Zivilisation.
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Die reiselustigen Gentlemen verkehrten dabei in den besseren Kreisen Europas, sie besserten
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ihre Sprachkenntnisse auf und sie beauftragten das eine oder andere Gemälde.
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Das klingt nicht nur dekadent, sondern war sicherlich auch so.
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Dennoch darf man nicht vergessen, so etwas wie Wanderausstellungen oder fotografische
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Reproduktion gab es damals natürlich noch nicht.
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Wenn man also bestimmte Kunstwerke erleben wollte, musste man schon selbst zu ihnen reisen.
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Und so kam es, dass ab dem 18.
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Jahrhundert endlich auch wieder britische Künstler bekannter wurden, die auf der Erfahrung
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der kontinentalen Kunstströmungen aufbauten und ihnen ihren eigenen Anstrich gaben.
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Der erste bekannte englische Maler dieser Zeit ist James Thornhill.
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Er wurde um 1675 geboren und ging unter anderem bei italienischen und französischen Barockmalern
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in die Leere, die auf der Insel Gebäude mit Wandgemälden verzierten.
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In Viva Britannia Folge 51, der ersten diesen Jahres, hatte ich das Greenwich Hospital erwähnt.
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In Greenwich, am südlichen Thamesufer, stand lange Zeit ein königlicher Palast, in dem
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unter anderem Hanrich der 8.
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geboren wurde.
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Nach dem vorhin erwähnten englischen Bürgerkrieg wurde die ganze Anlage umgestaltet und Königin
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Mary II. ließ anstelle des inzwischen ungenutzten Palastes ein Krankenhaus für Seeleute errichten.
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Die Gebäude des Greenwich Hospitals wurden von dem bekannten Architekten Christopher
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Wren entworfen, Anfang des 18.
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Jahrhunderts errichtet und gelten heute als UNESCO-Weltkulturerbe.
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Zu der ehemaligen Klinik gehörte auch eine große Halle, die einmal als Speisesaal für
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pensionierte Seeleute gedacht war, die auf dem Gelände lebten.
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Für die Innendekoration dieser Halle suchte man damals, nach Maßgabe des Erzbischofs von
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Canterbury, einen protestantischen englischen Maler.
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Und so schuf James Thornhill über einen Zeitraum von 20 Jahren sein bekanntestes Meisterwerk.
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Er bedeckte die Wände und Decken des Saals mit einer Gesamtfläche von über 4200 Quadratmetern
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in unzähligen figurlichen Darstellungen, die in typisch barocken Symbolismus Themen wie
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die Monarchie, Religion und Seefahrt behandelten.
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Heute kennt man diesen Saal einfach als "Painted Hall" und bezeichnet sie auch gerne als jesigstinische
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Kapelle des Vereinigten Königreichs.
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König James I.
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machte James Thornhill zum Hofmaler und schlug ihn als ersten englischen Maler der Geschichte
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zum Ritter.
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Weitere von Thornhills Werken sind an den Decken und Wänden unter anderem des Imports
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Cathedral London sowie in vielen privaten Residenzen der Insel zu bewundern.
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Die Painted Hall in Greenwich wird derzeit mit gewaltigem Aufwand komplett restauriert,
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ist für Besucher aber dennoch weiterhin zugänglich.
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Von James Thornhill ist der persönliche Weg nicht bei zu William Hogarth.
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Der war nicht nur ein Schüler Thornhills, sondern auch sein Schwiegersohn.
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Künstlerisch ging Hogarth aber in eine ganz andere Richtung als sein Schwiegervater.
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Hogarth kam aus einfachen Verhältnissen und war gelernter Kupferstecher.
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Er malte zwar auch immer wieder in Öl, meiste aber um die Bilder anschließend selbst als
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Kupferstich zu kopieren oder er bat seine Schüler das für ihn zu tun.
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Durch die immer weiter zunehmende Verbreitung des Buchdrucks gewannen sowohl Kupferstich-Illustrationen
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in Büchern, aber auch Drucke von Kupferstichen als alleinstehende Kunstwerke an Bedeutung.
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Schon früh nutzte William Hogarth sein Handwerk, um die gesellschaftlichen Probleme seiner
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Zeit satirisch darzustellen.
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Am bekanntesten sind seine ab 1730 entstandenen moralischen Bilderfolgen im englischen Modern
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Moral Subjects.
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Hierin zeigt an einer Serie von Kupferstichen zum Beispiel den Lebensweg einer Prostituierten,
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der mit einem Mädchen, das vom Land in die Stadt kommt, beginnt und mit ihrem Tod an
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einer Geschlechtskrankheit endet.
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Solche sequenzielle Kunst, die in mehreren Bildern eine Geschichte erzählt, war damals
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recht neu.
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William Hogarth gitt damit nicht nur als einer der ersten westeuropäischen Karikaturisten,
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sondern auch als einer der Urväter des Comics.
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In späteren Werken nahm Hogarth zum Beispiel die Heiratspraxis der besseren Gesellschaft
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seiner Zeit aufs Korn, die meist nur statusorientiert war und zu vielen unglücklichen Ehen führte.
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Die Gemäldeserie "Marriage à la Maud" ist heute in der National Gallery zu sehen.
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Hogarth mahnte mit Kupferstichen wie Beer Street und Gin Lane aber auch vor dem zunehmenden
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Alkoholismus der Bevölkerung.
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Man verhutete heute, dass Hogarth diese speziellen Stiche auf Wunsch seines guten Freundes Henry
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Fielding geschaffen hat.
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Ja genau, dem Henry Fielding aus der letzten River Britannia Folge der erst Satiriker
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war, dann einer der bedeutendsten Friedensrichter Londons und der in diesem Amt auch gegen
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die Verbrechen in Folge des zunehmenden Gin-Konsums vorging.
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Apropos Verbrechen.
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Die Rechtsgeschichte der Insel hat William Hogarth auch einen bedeutenden Schritt im
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Urheberrecht zu verdanken.
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Bis 1710 lag das Recht zur Verbreitung von Büchern grundsätzlich bei den buchdruckenden
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Verlegern, aber nicht bei den Buchautoren.
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So kam es immer wieder vor, dass Verleger Bücher von Autoren verbreiteten, die dazu
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gar nicht ihr Einverständnis gegeben hatten und auch kein Geld dafür sahen.
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Mit dem sogenannten "N Statute", benannt nach der damals herrschenden Königin N, schuf
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das britische Parlament das erste Urheberrechtsgesetz der Welt und stärkte die Rechte der Autoren.
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Jemandem wie William Hogarth half das aber nicht.
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Die von ihm geschaffenen Kupferstiche wurden auf der Insel und europaweit sehr oft und
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oft sehr schlecht kopiert.
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Da er kein Autor war und sein Werk kein Buch, galt das neue Gesetz für ihn nicht.
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William Hogarth setzte sich daher vehement für eine Ausweitung des Gesetzes ein.
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Von 1735 wurde mit dem "Engravers Act", dem Kupferstiche Erlass, den Schöpfern visueller
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Werke ähnliche Rechte zugestanden, die Buchautoren.
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Umgangssprachlich ist dieses Erlass auch als "Hogarth Act" bekannt.
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James Thornell war also für barocke Raumgestaltung bekannt und William Hogarth für satirische
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Kupferstiche.
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Die beiden vorherrschenden Genres dieser Zeit waren jedoch ernsthafte Portraits und Landschaften.
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Thomas Gainsborough gilt als einer der wichtigsten Porträmailer der Insel.
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Er kam zur Lehre nach London und bewegte sich dort unter anderem im Umfeld von Hogarth, zog
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dann aber erst einmal mit seiner Familie nach Bath.
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Dort schaffte Gainsborough, sich mit Portraits lokaler Prominenta einen Namen zu machen.
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In 1770 malte er sein bekanntestes Portrait "The Blue Boy", den Knaben in blau.
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Das Bild stellt den 18-jährigen Jonathan Buttle dar, den Sohn eines reichen Eisenwarenhändlers,
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der mit Gainsborough befreundet war.
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Der Junge trägt ein schancierend blaues Kostüm im Stil des 17.
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Jahrhunderts.
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Diese Darstellung ist zum einen ein Hommage von Gainsborough an sein großes flämisches
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Vorbild "Antonis van Dyck", der den Porträtstil der Briten maßgeblich geprägt hat.
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Van Dyck hatte mehr als 100 Jahre zuvor einen Knaben in einem ganz ähnlichen roten Kostüm
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gemalt.
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Gleichzeitig soll das Bild aber auch ein Schlag ins Gesicht von Gainsboroughs Rivalen
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Joshua Reynolds gewesen sein.
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Der hatte angeblich behauptet, dass sich die Farbe blau nicht als zentrales Element in
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einem Bild verwenden lasse.
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Wenn er das wirklich behauptet hat, wurde er durch Gainsborough klar widerlegt.
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Der Knabe in blau wurde so bekannt, dass er heute in der Popkultur noch fast so häufig
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zitiert wird wie die Mona Lisa.
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Jonathan Buttle hat das Bild jedoch kein Glück gebracht.
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Er ging irgendwann pleite und musste sein Porträt verkaufen.
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1921 kam das Bild schließlich in den Besitz des amerikanischen Eisenbahnpioniers Henry
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E.
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Huntington.
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Er zahlte eine damals unerhörte Summe von über 180.000 Pfund Stirling.
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Die britische Öffentlichkeit protestierte gegen die Ausfuhr dieses Meisterwerks, aber
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es half nichts.
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Heute kann man den Knaben in blau im umfangreichen Nachlass von Huntington in der Nähe von Los
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Angeles besichtigen.
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Aber zurück zu Gainsborough und Reynolds.
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Obwohl ein Bath lebte, stellte Gainsborough immer wieder Werke in London aus.
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Die britischen Künstler begannen gerade erst sich zu organisieren und so gehörten Gainsborough
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und Reynolds zu den ersten Mitgliedern der Royal Society of Arts sowie zu den Gründern
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der Royal Academy of Arts.
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1777 zog Gainsborough mit seiner Familie endlich nach London und begann vor Ort für die High
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Society zu malen.
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1780 porträtierte er König George III. und seine Frau Charlotte.
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Er sollte zum beliebtesten Maler der Königsfamilie werden.
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Und 1784 der offizielle Hofmaler Ellen Ramsay starb, da sich der König jedoch gezwungen
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nicht Gainsborough, sondern in der Öffentlichkeit viel angeseheneren Präsidenten der Royal Academy
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of Arts zum neuen Hofmaler zu ernennen.
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Und das war Joshua Reynolds.
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Gainsborough wusste aber um die Umstände und nahm es der Königsfamilie nicht übel.
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Auf seinen ausdrücklichen Wunsch ließ es sie später bei einer kleinen Kapelle begraben,
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die häufig vom Königsbar besucht wurde.
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Joshua Reynolds ist neben Thomas Gainsborough der zweite prägende Porträtemaler des späten
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18.
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Jahrhunderts.
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Gainsborough war für einen eigenen, leichten und realistischen Malstil bekannt.
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Reynolds hingegen hatte lange Zeit in Italien studiert und wollte durch die bewusste Weiterentwicklung
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klassischer kontinentaler Malerei dafür sorgen, dass sich die britische Oberschicht für hochwertige
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Kunst nicht weiter im Ausland bediente, sondern auf einheimische Künstler zurückgriff.
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Als die höchste Kunst der Malerei kam damals die sogenannte Historienmalerei, die Darstellung
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und Überhöhung von klassischen Szenen der Geschichte.
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In diesem Genre hatten die Briten nichts zu melden, entsprechende Aufträge gingen immer
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an Künstler vom Kontinent.
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Auch Reynolds sollte in der Historienmalerei nicht besonders erfolgreich sein, aber er
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nutzte Elemente der Historienmalerei, um seine Porträts noch interessanter und hochwertiger
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zu machen.
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Er stellte seine Modelle nicht einfach nur naturgetreu dar, sondern nutzte bewusst Posen,
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Anspielungen und Malstile der Historienmalerei um seine Klienten noch ein wenig grandioser
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darzustellen.
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Dieser "Grand Style" kam bei vielen Porträtierten gut an und er hat einen wesentlichen Einfluss
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auf die Entwicklung der britischen Porträtmalerei.
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Die Politiker halten Reynolds hingegen vor, nicht besonders innovativ gewesen zu sein und
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einige seiner Porträts würden doch sehr gestälzt wirken.
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An dieser Stelle muss ich noch einen dritten, etwas ungewöhnlichen britischen Porträtisten
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erwähnen.
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Wenn ihr irgendwo einmal ein Gemälde aus dem 18.
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Jahrhundert mit anatomisch-serialistischen Pferden seht, ist die Wahrscheinlichkeit groß,
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dass es von George Stubbs gemalt wurde.
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George Stubbs wuchs in Liverpool als Sohn eines Ledergerbers auf.
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Er war also von Kindestagen an mit Tierkörpern und Kadavern vertraut.
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Interessierte sich sowohl für Malerei als auch für Anatomie.
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Nachdem er jahrelang auf einer Farm unzählige Pferde seziert und seine Funde akribisch
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dokumentiert hatte, beöffentlichte er 1766 das Buch "The Anatomy of the Horse".
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Die Londoner Kupferstecher lehnten es ab, die anatomischen Illustrationen für dieses Buch
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herzustellen und so setzte Stubbs seine Zeichnungen selbst in Kupfersteche um.
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Einige Adlige hatten aber schon zuvor Zeichnungen aus Stubbs Arbeit gesehen und festgestellt,
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dass sie viel genauer waren als das, was sie an Tierdarstellungen bisher kannten.
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Und so kam Stubbs dazu, Gemälde von Pferden als Auftragsarbeiten auszuführen.
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In dem Privatsus seiner Auftraggeber konnte Stubbs aber auch exotischere Tiere studieren.
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Und so gibt es von ihm Gemälde von Löwen, Tigern, Kiraffen, Affen und Nashörnern.
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Auch die allerersten Darstellungen eines Kängurus und eines Dingos gehen auf Stubbs Konto.
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Allerdings malte er diese nicht nach lebenden Vorbildern.
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Anfang des 19.
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Jahrhunderts begann die Romantik die Kunst Europas zu beherrschen.
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Als eine gewisse Gegenbewegung zur industriellen Revolution, den politischen Normen der Aufklärung
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und der wissenschaftlichen, rationalen Wahrnehmung der Natur entstanden nun Kunstwerke, die mehr
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auf extreme Gefühle setzten.
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Von der Bewunderung für die Schönheit der Natur bis hin zur Verkörperung von Angst
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und Terror.
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Das zeigte sich zuerst in der Landschaftsmalerei.
17:02
Die nach den ruhigen Werken früherer Jahrhunderte nun auch begann, wildere Landschaften und
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stürmisches Wetter darzustellen.
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Der bekannteste deutsche Vertreter dieser Stilrichtung ist Caspar David Friedrich, der
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1775 geboren wurde.
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Ein Jahr später kam in England Joseph Mallard William Turner zur Welt, den man heute nur
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als William Turner kennt.
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Und wiederum ein Jahr später John Constable.
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Turner und Constable gelten zurecht als die besten Landschaftsmaler der Insel.
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Turner oft sogar als der beste britische Maler aller Zeiten.
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Aber zunächst zu John Constable.
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Er wuchs im Osten Englands in Sussex und Essex auf und er verbrachte dort den größten Teil
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seines Lebens.
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Auf Spaziergängen fertigte er unzählige Zeichnungen von seiner Heimat an.
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Eines Tages zeigte ihm ein örtlicher Kunstsammler seinen wertvollsten Besitz.
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Ein Landschaftsgemälde des französischen Barockmalers Claude Lorrain.
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John Constable war begeistert.
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Bilder, die die Landschaft in den Mittelpunkt stellten, mit einer eindrücklichen Farbwirkung.
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Eigentlich sollte John den Getreidehandel seines Vaters übernehmen, aber der willigte schließlich
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ein, seinem Sohn eine künstlerische Karriere zu ermöglichen.
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John Constable wurde 1799 bei der Royal Academy als Schüler angenommen.
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Er sollte Zeit seines Lebens danach streben, Landschaften möglichst natürlich und unmittelbar
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darzustellen.
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Oft fertigte Constable zunächst vollformatige, avantgardistische Ölskizzen seiner Motive an,
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mit schnellen, wilden Pinselstrichen, bevor die eigentlichen Gemälde dann wieder etwas
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gemäßig darausführte.
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Gleichzeitig war er von Licht und Wetter fasziniert.
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Seiner Meinung nach war es der Himmel, der die Ausstrahlung eines Landschaftsgemäldes
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bestimmte.
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Constables meteorologische Kenntnisse waren auf der Höhe seiner Zeit, und seine Studien
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zu Wolkenformationen nahmen fast schon wissenschaftliche Ausmaße an.
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John Constable war zu Lebzeiten in englischen Kunstkreisen geachtet, aber nie wirklich erfolgreich.
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1821 stellte er mehrere Werke in der Royal Academy aus, darunter sein bekanntestes Gemälde,
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the Hay Wain, das eine Landschaft auf der Grenze von Sussex und Essex mit einem Heuwagen
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zeigt, und mit einem Häuschen, das heute noch steht.
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Der französische Romantikmaler Theodore Géricault sah das Gemälde bei einem Besuch in London
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und war so begeistert, dass er einen Pariser Kunsthändler überzeugte, zusammen mit mehreren
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anderen Werken Constables zu kaufen und im Pariser Salon auszustellen.
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Dort wurde der Heuwagen vom französischen König mit der Goldmedaille ausgezeichnet,
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und Constable wurde über Nacht in Frankreich berühmt.
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Er sollte einen großen Einfluss nicht nur auf Géricault und Delacroix haben, sondern
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auch auf die französische Schule von Barbizon und die späteren französischen Impressionisten.
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An seiner englischen Heimat wurde Constables Bedeutung erst lange nach seinem Tod erkannt.
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Der Heuwagen hängt heute in der National Gallery in London, und im Victorian Albert Museum kann
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man die dazugehörige Ölskizze bewundern.
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In einer Umfrage durch BBC im Jahr 2005 wurde der Heuwagen zum zweitbeliebtesten Bild Großbritanniens
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gewählt.
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Den Spitzenplatz in der gleichen Umfrage belegte natürlich "The Fighting Temeraire"
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von William Turner.
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Das Bild sollte den meisten hinlänglich aus dem Kunstunterricht begann sein.
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Es zeigt das alte Schlachtschiff HMS Temeraire, das Jahrzehnte zuvor eine wichtige Rolle bei
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der Seeschlag von Trefalgar gespielt hatte, und das nun bei Sonnenuntergang von einem Dampfschlepper
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zu seinem letzten Liegeplatz an der Themse gebracht wird, um abgefragt zu werden.
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Das Segelschiff erscheint fast geisterhaft in heller Farbe zur Linken, in starkem Kontrast
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zum dreckigen Dampfschlepper.
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Der rechte Teil des Gemäldes wird von der untergehenden Sonne dominiert, deren Licht
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sich sowohl in den Wolken als auch der Themse-Oberfläche spiegelt.
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Das Bild symbolisiert das Ende einer Ära der britischen Marine und den Beginn eines neuen,
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industriellen Zeitalters.
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William Turner malte die Temeraire auf dem Höhepunkt seiner Karriere.
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Als das Bild 1839 in der Royal Academy ausgestellt wurde, war Turner schon seit 40 Jahren einer
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der bekanntesten Maler der Akademie.
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Joseph Mallard William Turner war 1775 in London als Sohn eines Barbiers auf die Welt gekommen.
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Seine Jugend verbrachte er viel Zeit bei Verwandten außerhalb Londens und begann früh, Zeichnungen
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und Aquarelle und Landschaften und Gebäuden anzufertigen, die im Laden seines Vaters aufgehängt
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und für kleines Geld verkauft wurden.
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Auch als Turner 1789 im Alter von 14 Jahren in die Schulen der Royal Academy aufgenommen
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wurde, konzentrierte er sich zunächst vor allem auf die realistische Darstellung von
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Gebäuden und Perspektive.
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Schon ein Jahr später wurde ein erstes Aquarell von ihm in der Akademie ausgestellt.
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Erst mit Anfang 20 stellte Turner sein erstes Ölgemälde aus.
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"Fisherman at Sea" zeigt ein Fischerboot bei stürmischer See in der Nacht nur vom
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Mond und einer kleinen Laterne beleuchtet.
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Das Bild wurde von Kritikern gelobt und begründete Turners Ruf als Maler von Seemotiven.
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Anfang des 19.
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Jahrhunderts bereiste Turner immer wieder Europa, studierte im Louvre in Paris die Alten
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Meister, er genoss Venedig und er malte bedeutende Szenen in den Alpen und in Rom.
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Weil er schnell finanziell unabhängig war, konnte er sich ganz auf die Perfektion seiner
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Vision konzentrieren.
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Die emotional spannungsvolle Darstellung von Natur und vor allem Licht.
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Den ungestümen Naturgewalten sah Turner die Macht Gottes und im Licht die Verkörperung
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des göttlichen Geistes.
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So konzentrierte er sich viele Jahre zunächst auf die Abbildung von stürmischer See, Schiffsfraks,
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regengepeitschen Landschaften und Feuern, wie dem Brand des Parlaments im Jahr 1834.
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In späteren Jahren rückte Turner dann immer mehr das Licht in den Mittelpunkt.
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Er verzichtete auf mögliche Ablenkungen wie feste Gegenstände oder Details.
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Diese abstrakteren Bilder erscheinen wie von einem Impressionisten gemalt und Turner beeinflusste
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dieses spätere Stil Richtung Mars geblich.
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Aber ihm ging es bei seiner Malweise nicht um ein rein optisches Phänomen, sondern einen
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Ausdruck von Spiritualität.
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Nicht zuletzt durch diese späteren Werke, die seiner Zeit voraus waren, war Turner als
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Künstler auch umstritten, aber sein Genie und seine Verdienst um die britische Kunst
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waren weit hin anerkannt.
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Privat lässt sich über Turner kaum etwas sagen.
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Er galt als exzentrisch und hatte wenige enge Freunde neben seinem Vater, der 30 Jahre lang
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bei seinem erfolgreichen Sohn lebte und ihm als Assistent zur Seite stand.
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Nach dem Tod des Vaters fiel Turner immer wieder in Depression.
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Er heiratete nie und hatte langjährige Beziehungen mit zwei Witwen.
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Die letzten 18 Jahre seines Lebens verbrachte Turner im Haus seiner geliebten Sophia Booth,
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wo er ganz natürlich als Mr.
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Booth verkehrte.
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1851 starb Turner und wurde in der St.
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Paul's Cathedral direkt neben Sir Joshua Reynolds beigesetzt.
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William Turner war ein ungemein eifriger Künstler.
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Er produzierte mehr als 550 Ölgemälde, 2000 Aquarelle und 30.000 Zeichnungen.
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Die weltweit umfangreichste Sammlung von Turner's Werken ist in der Londoner Tate Gallery zu
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sehen.
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Die berühmte Temeraire war Turner's Lieblingsbild gewesen.
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Er verkaufte es nie und es hing bis zu seinem Tod in seinem Atelier, in dem auch regelmäßig
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Geschäftspartner und Gäste empfingen.
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Turner vermachte es, wie alle seine unverkauften Werke, dem britischen Volk.
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Und heute hängt es, wie auch Conceibles Holkarren, in der National Gallery.
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An dieser Stelle noch ein Filmtipp.
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Vor zwei Jahren kam Mr.
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Turner von Mike Lee in die Kinos.
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Der Film zeichnet die letzten Jahrzehnte des Künstlers nach und Schauspieler Tim Fies
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Ball wurde für seine Verkörperung von William Turner unter anderem bei den Filmfestspielen
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in Cannes ausgezeichnet.
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Literarische, musikalische und filmische Denkmale bringen mich auch zum letzten Künstler
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dieser heutigen Folge.
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So sehr William Turner von seinen Zeitgenossen gefeiert wurde, so abgelehnt wurde William
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Blake.
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Der war auch ein Vollblutromantiker, aber mit ganz anderen Visionen als ein William
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Turner, und das ist wörtlich gemeint.
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Bereits als Kind soll der temperamentvolle Blake Visionen von Engeln und Propheten gehabt haben,
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die er sein Leben lang in Gedichten und Bildern verarbeitet hat.
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Blake war für den normalen Schulbesuch ungeeignet und wurde zunächst zu seiner Mutter unterrichtet.
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Schon mit zehn Jahren besuchte er Zeichenschulen und erlernte schließlich das Handwerk des
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Kupferstechers.
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Später wurde er auch bei der Royal Academy aufgenommen, aber seine Vorstellungen von
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Kunst erwiesen sich als nicht kompatibel mit denen von Joshua Reynolds.
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Daraufhin eröffnete William Blake eine Druckerei und arbeitete bis zu seinem Tod als Gravör
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und Illustrator.
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Zu seinem spirituellen Verständnis sagte Blake einmal, die Menschen werden in den Himmel
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aufgenommen, nicht weil sie ihre Leidenschaften gezügelt und besiegt oder gar keine Leidenschaften
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hätten, sondern weil sie ihr Verständnis der Dinge kultiviert haben.
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Mit anderen Worten, wenn Menschen ihre Begehren ausleben und ihr Bewusstsein erweitern, lobpreisen
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sie Gott.
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Kirchen und andere Religionen, deren Lehre darauf gerichtet ist, die natürlichen Begehren
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und die Erleuchtung von Menschen zu unterdrücken, verehren in Wahrheit den Satan und sind abzulehnen.
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Mit solch einer Einstellung, die Blake auch in seinen Gedichten und Bildern umsetzte,
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machte er sich im England des 19.
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Jahrhunderts natürlich nicht besonders viele Freunde.
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Zum Glück galt Blake damals nur als harmloser Exzentriker und nicht als religiöser oder
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politischer Radikaler.
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Aber jeder, der Viva Britannia Folge 57 zur Geschichte des Okulten auf den Britischen
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Inseln gehört hat, kann sich wohl vorstellen, dass es später einige Kreise geben sollte,
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die Blakes mystische Sicht auf die Welt wertschätzten.
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Seine symbolgeladenen und komplexen Gedichte, Buchillustrationen und Gemälde treten sich
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meist um religiöse Themen und wurden zunächst von Okkultisten wie Alistair Crowley oder
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frühen Psychoanalytikern wie Sigmund Freud und Carl Gustav Jung als Meisterwerke gefeiert.
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Unzählige Autoren und Musiker haben sich seitdem von Blake inspirieren lassen.
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So richtig wiederentdeckt wurde er in der Gegenkultur der 1950er und 60er.
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Bob Dylan, Alan Ginsberg, Jim Morrison, Van Morrison, U2, Tangerine Dream, die alle haben
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Werke von Blake verarbeitet.
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Eldis Huxley beschrieb 1954 in dem Buch "The Doors of Perception" seine Erfahrungen mit
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der bewusstheitserweiternden Droge Mescaline.
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Der Titel ist ein Zitat von William Blake und wurde durch das Buch wiederum namensgebend
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für Jim Morrison's Band "The Doors".
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Das Bild von Blake, das wohl den deutlichsten Einfluss auf unsere aktuelle Popkultur hatte,
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ist "The Great Red Dragon and the Woman Clothed in Sun", der große rote Drache mit der von
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der Sonne bekleideten Frau.
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Es ist ein Aquarell von Blake zur Offenbarung des Johannes.
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Roman Roter Drache von Thomas Harris ist ein Serienmörder von diesem Bild besessen.
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Um den Mörder zu fassen, nimmt der Ermittler Will Graham Kontakt mit einem früher von ihm
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gefassten Serienmörder und hochintelligenten Psychiater auf, Hannibal Lecter.
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Roter Drache war der erste Roman, in dem Hannibal Lecter vorkam.
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Das berühmte Schweigen der Lämmer kam erst danach.
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Die Geschichte wurde inzwischen zweimal als Film adaptiert und ist auch die Grundlage für
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die Handlung der aktuellen dritten Staffel der Fernsehserie "Hannibal".
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Und mit diesem ganz und gar nicht romantischen Auswuchs der britischen Romantiker möchte
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ich diesen ersten Ausflug der britischen Malerei beenden.
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Auf die Entwicklung seit der Mitte des 19.
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Jahrhunderts komme ich in einer eigenen Episode noch einmal zurück.
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Dann geht es unter anderem um die Prä-Raphaeliten, um Francis Bacon, David Hockney und Damien
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Hurst.
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Treue Zuhörer werden aber schon ahnen, was erst einmal in der nächsten Folge von "Wir
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Britannia" auf euch zukommt.
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Episode 66 steht vor der Tür und damit die sechste "Bits and Bobs"-Folge, in der ich
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auf früheren Themen nachtrage, korrigiere und ergänze.
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Bis dahin, thanks for listening, cheers and bye bye.
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