Zwischen Zwei Deckeln

Da draußen gibt es abertausende interessante Sachbücher; voller Wissen, Ideen, Argumente und Inspiration. Und jeden Monat kommen neue dazu. Niemand kann all diese Bücher lesen, auch wir nicht. Aber wir können euch davon berichten, wenn wir ein interessantes Buch gefunden haben und ein wenig erzählen und diskutieren, worum es darin geht und welche Ideen die Autor_innen entwickeln. Wir lesen, was uns interessiert. Das sind aktuell in erster Linie Bücher über Wissenschaft, Gesellschaft und das gute Leben. Also hört einfach rein!

https://zwischenzweideckeln.de

subscribe
share






episode 3: "Alles ist relativ und anything goes" von John Higgs  

[transcript]


Das 20. Jahrhundert ist gerade erst vergangen. Haben wir eigentlich schon wirklich verstanden, was da passiert ist?


share








 June 6, 2019  58m
 
 
00:00
[Musik]
00:18
Herzlich Willkommen zur dritten Folge des immer noch relativ jungen Podcasts
00:22
"Zwischen zwei Deckeln". Ich bin Christoph und mit mir zusammen ist heute wieder
00:27
Nils unterwegs. Genau. Genau. So viel gibt es am Anfang ja gar nicht zu erzählen.
00:34
Vielleicht magst du als Rückblick auf die letzte Episode einmal sagen, was du
00:37
noch erinnerst, worum es letztes Mal ging. Da habe ich dir ja was erzählt.
00:41
Genau. Du hast mir was erzählt zu dem Buch "Der Sieg des Kapitalismus" von Ulrike Hermann,
00:46
war das glaube ich. Ja, genau. Da ging es um ja im Grunde die Geschichte des Kapitalismus
00:51
und viele durchaus interessante Gedanken. Was war das, dass Kapitalismus und
00:57
Marktwirtschaft tatsächlich nicht dasselbe sind, dass das auch historisch eine ganz
01:01
lange Geschichte hat, eine komplexe Entwicklung genommen hat und nicht jetzt
01:05
irgendwie so eine neue Entdeckung der letzten 50 oder 100 Jahre eigentlich ist.
01:09
Auch das Thema Globalisierung. Ja, das war so, so das was ich jetzt so pauschal
01:15
nochmal auf die Schnelle aus der Zusammenfassung mitnehmen könnte.
01:19
Geht das in die richtige Richtung? Ja, absolut. Das ist ja schon gar nicht so wenig.
01:24
Genau. Heute bist du also dran mir etwas zu erzählen, deswegen rede ich diesmal auch
01:28
am Anfang. Und zwar bist du uns heute das Buch "Alles ist relativ" und "Anything Goes",
01:34
eine Reise durch das unglaublich seltsame und ziemlich wahnsinnige 20. Jahrhundert
01:39
von John Hicks vorstellen. Das Buch ist 2016 erschienen im Inselverlag, was der
01:45
zum Sokamp-Verlag gehört, wenn ich das richtig verstanden habe. Und die stellen
01:50
glaube ich primär eigentlich also ursprünglich englischsprachige Bücher da
01:54
in ihrem Programm zusammen. Und John Hicks ist ein britischer Journalist und wird
02:01
irgendwo beschrieben als "Cultural Historian" oder so, wenn ich das richtig in
02:05
Erinnerung habe. Und so wie ich es aus dem Vorgespräch jetzt in Erinnerung habe, ist er
02:08
irgendwie in popkulturellen Sphären mehr oder minder unterwegs und schreibt
02:12
darüber und berichtet darüber. Ist das soweit? Ja, genau. Eine gute passende
02:17
Anmoderation. Ja, viel mehr weiß ich über den auch nicht, also insofern. Dann muss er
02:22
sich in seinem Buch beweisen, wenn du mir etwas erzählen wirst. Ja, genau. Ja, ich bin
02:26
ganz gespannt und höre zu.
02:28
Genau, also erstmal so die Kurzzusammenfassung für die, die jetzt nur kurz in die
02:36
Episode reinhören wollen. In seinem Buch "Alles ist relativ" und "Anything Goes" versucht
02:42
John Hicks im Grunde dem gesamten 20. Jahrhundert so einen Sinn abzugewinnen. Er sieht
02:48
in diesem Jahrhundert so ein bisschen, ja sowas ähnliches wie die Pubertät der
02:52
Menschen, die aus den klaren Strukturen und den ja sehr objektiv gegebenen
02:57
Strukturen des 19. Jahrhunderts entwachsen und den Individualismus entdecken. Aber
03:03
irgendwie nicht so richtig wissen, was sie damit anfangen sollen. Das heißt, dass die
03:08
gesellschaftliche Struktur erstmal sehr sehr instabil wird, da sich dem Einzelnen
03:12
eben keine etablierten Strukturen oder etablierten Muster, Wissensbestände, was
03:18
auch immer mehr entgegenstellen. Und für Hicks ist dann so das Aufkommen der globalen
03:22
Vernetzung Ende des 20. Jahrhunderts, aber gerade jetzt Anfang des 21. Jahrhunderts
03:28
so ein bisschen wieder die Wiedereinführung der damals oder dem Laufe des 20. Jahrhunderts
03:33
verloren gegangenen Feedback-Schleifen. Das also so ein bisschen die
03:38
Zusammenfassung von dem Buch, sehr knapp und sehr sehr konzentriert. Das wird jetzt
03:45
wahrscheinlich alles ein bisschen klarer in der ausführlicheren Darstellung.
03:52
Wie ich gerade schon in der Zusammenfassung angedeutet habe, wirft John Hicks einen Blick
03:58
zurück auf das 20. Jahrhundert. Und er kommt da mit einer sehr schönen Prämisse, finde
04:03
ich, ran, weil er halt sagt, wenn wir in die Historie, in die Geschichte zurückblicken,
04:08
ist meistens eher das Problem, dass wir nicht so viel wissen über eine gewisse
04:12
Zeitepoche. Dass uns Wissen fehlt, dass wir nicht wissen, wie war das wirklich und
04:18
Dokumente und Erfahrungen, keine Zeitzeugen mehr und so weiter. Und das Problem des 20.
04:24
Jahrhunderts ist im Grunde ein anderes. Das Problem ist nämlich, dass wir über dieses
04:28
Jahrhundert so unglaublich viel wissen, weil wir es zum Großteil ja auch noch irgendwie
04:32
selbst erlebt haben. Und deswegen im Grunde vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen.
04:36
Und seine Idee ist dann eben zu sagen, okay, ich guck mir mal so die ganz großen
04:42
Entwicklungslinien an, die sich in dem Jahrhundert ergeben haben und versuch die mal
04:47
so eine gewisse Geschichte, eine Entwicklungsgeschichte im Grunde zu bringen, die man da rauslesen
04:52
kann. Okay und in den Jahrhunderten und den Zeiten davor haben wir das Problem, dass wir
04:58
quasi noch nicht mal genug Bäume haben, um den Wald zu erkennen und diesmal sind es
05:03
viele Bäume, um den Gesamtblick zu kriegen. Okay, gut. Genau, das ist so ein bisschen der
05:08
Grundansatz. Er hält das auch so ein bisschen bei, weil er in seinem doch gar nicht so langen
05:13
Buch, das sind noch so ungefähr knapp 300 Seiten glaube ich, also in der englischen Originalversion,
05:18
in der deutschen Variante, weiß ich es jetzt gerade nicht, greift er 15 Ideen, Entwicklungen
05:23
auf, die das Jahrhundert geprägt haben, also in unterschiedlichen Teilen des Jahrhunderts
05:28
abschnitten und er geht das im Grunde so von vorne nach hinten durch, also vom Anfang des
05:32
20. Jahrhunderts bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Und er kommt da mit einem schönen Ausgangspunkt
05:39
im Grunde drauf, das ist nämlich, oder er startet mit einem Begriff, das ist der Begriff
05:46
des Omphalos, den ich vorher auch tatsächlich in der Form noch nie gehört hatte, das ist
05:51
so ein bisschen die Idee eines Zentrums der Welt. Also irgendwie so... Omphalos? Omphalos,
05:57
also O-M-P-H-A-L-O-S. Hat er sich das rausgedacht oder hat er das irgendwo hergegriffen? Ich
06:03
gehe mal davon aus, dass das irgendwo aus der antikischen, aus der antik-griechischen Philosophie
06:07
kommt als Konzept, also ein bisschen als Zentrum der Welt, so als sicheren Anker, als stabilen
06:12
Punkt, der irgendwie immer da ist und von dem aus man die Welt versteht. Also vielleicht
06:17
ist das auch ein bisschen so der Hebelpunkt, von dem man die Welt aushebeln kann sozusagen.
06:24
Und seine Grundidee ist im Grunde zu sagen, der Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert
06:30
und das frühe 20. Jahrhundert war im Grunde der Zeitpunkt, wo wir diese, jetzt muss ich
06:35
den korrekten griechischen Plural bilden, Omphaloi wahrscheinlich, wo wir die verloren haben.
06:42
Und dann ging es ganz viel darum, uns in dieser neuen Situation als Menschen zu orientieren.
06:50
Das ist so ein bisschen der Ansatzpunkt. Da steigen dann auch gleich die ersten beiden
06:55
seiner Konzepte ganz stark ein, an denen er das ein bisschen verdeutlicht. Das ist einmal
06:59
die Relativitätstheorie in der Physik und der Modernismus in der Kunst. Man sieht ja
07:06
schon an dem Beispiel, er schlägt den sehr großen Bogen. Er geht jetzt in den einzelnen
07:11
Punkten, nicht in die absoluten Winzdetails. Es ist auch definitiv eher ein populärwissenschaftliches
07:18
Buch als ein Fachbuch. Es ist eigentlich kein Fachbuch, es ist ein populärwissenschaftlich-journalistisches
07:23
Buch. Macht dafür aber ein sehr, sehr intensives und auch sehr gut argumentiertes Argument, finde ich.
07:30
Genau, aber fangen wir mit den beiden Punkten an. Relativitätstheorie und damit verbunden
07:36
auch die Quantenmechanik, die diese ganze Idee auf den Kopf gestellt haben, zu sagen, es
07:43
gibt so etwas wie eine stabile Welt, die nach relativ einfachen Regeln funktioniert. Es
07:48
gab ja eben zu der Zeit vor allen Dingen die newtonsche Mechanik, die irgendwie sagte,
07:51
ja, ein Körper ist in Ruhe, bis er irgendwie angeregt wird, sich zu bewegen und so. Und er setzt
07:57
seine Bewegung fort, bis er irgendwie angeregt wird, mit der aufzuhören. So diese ganz klassischen,
08:02
einfachen für unsere Verhältnisse physikalischen Regeln, die die Welt sehr berechenbar und sehr
08:08
vorhersehbar machen. Und dann eben die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, die das sehr stark
08:14
in Frage gestellt haben und im Grunde sagen, ja, das mag irgendwie auf der Ebene, die wir so im
08:20
Alltag wahrnehmen mag, das gelten. Aber sobald wir in die sehr kleinen oder die sehr großen
08:24
Maßstäbe uns bewegen, also in die subatomare Welt oder auf die Ebene der Galaxien und darüber
08:31
hinaus, da verhält sich das dann schon. Steht alles auf dem Kopf. Genau, da ist alles irgendwie
08:36
anders. Alles auch nicht mehr vorhersagbar und nicht so leichten Regeln folgend und für uns
08:42
nicht mehr intuitiv verständlich. Das ist sozusagen sein intellektuell geschichtlicher
08:49
Ausgangspunkt im Grunde von dieser Argumentation. Das muss ja irgendwie die Grundthese haben,
08:54
dass das eine weitere Relevanz als nur für die Physik hat. Genau. Er setzt das dem gegenüber
09:02
zu sagen, dass ein Kunst in der Kunst ein ähnlicher Prozess stattgefunden hat. Aber vielleicht
09:07
auch in der Physik, dass eben auch gerade bei der Relativitätstheorie, aber auch in der
09:11
Quantenmechanik die Rolle des Beobachters eine viel, viel wichtige Funktion hat. Also,
09:17
dass es nicht mehr der neutrale, von außen auf die Welt blickende Beobachter ist, der
09:23
irgendwie die Welt, die außerhalb von ihm ist, beschreibt, sondern dass bei der Relativitätstheorie
09:28
zum Beispiel die Position des Beobachters eine ganz, ganz wichtige Unterscheidung macht
09:32
und je nachdem von welcher Position aus man etwas beobachtet, man sehr, sehr unterschiedliche
09:36
Beobachtungen machen kann. Und für die Quantenmechanik gilt das ähnlich, dass sich das erst realisiert
09:43
oder Messwerte erst entstehen, wenn sie tatsächlich gemessen werden. Aber da will ich jetzt nicht
09:50
tiefer theoretisch einsteigen. Du kannst irgendwann mal ein Buch über Konstruktivismus besprechen.
09:54
Ja, immer gerne. Konstruktivismus greift er auch noch auf. Genau. Und dann macht er das
10:02
Ähnliche auch zum Modernismus. Da will ich jetzt gar nicht so tief drauf eingehen. Das
10:05
ist nur eine ähnliche Bewegung in der Kunst, wo eben die Wahrnehmung des Zuschauers eine
10:09
ganz, ganz wichtige Rolle dabei spielt, dass ein Kunstwerk geschaffen wird. Also so ganzen
10:14
Ideen, dass man nicht mehr versucht, irgendwie eine Welt real abzubilden, sondern irgendwie
10:21
eine Emotionalität auszudrücken. Zwar nicht in einem echten Bild, sondern in einer Genese
10:28
von Emotionalität, die aber nicht den Bild natürlich, das Bild ist nicht emotional,
10:32
sondern der Zuschauer produziert diese Emotion, wenn er das Bild sieht. Da kommt dann diese
10:37
ganze Diskussion der neuen Wiener Moderne ins Spiel zum Beispiel, aber eben auch ganz viele
10:42
andere künstlerische Entwicklungen Anfang des 20. Jahrhunderts. Also da macht er aus
10:48
zwei Perspektiven so dieses, ja der Beobachter wird irgendwie wichtig. Es gibt nicht mehr
10:53
die eine Welt, sondern je nachdem von welcher Position aus man sie beobachtet, verändert
10:58
sich die Welt oder nimmt man eine andere Welt wahr. So, dann macht er das dritte Thema,
11:05
was er aufgreift, ist, er nennt das so einfach Krieg. Krieg ist jetzt nicht wirklich was
11:10
Neues. Ich habe das mal in meinen Notizen mit der Vorsilbe Vernichtungs-Versehen, also
11:15
Vernichtungs-Krieg. Da kommt er jetzt eher aus so einer politischen Richtung und ihr
11:22
sieht halt auch da, dass in der Politik mit den ja feudalen oder quasi feudalen Herrschern,
11:28
den Königen und Kaisern, im Grunde Anfang des 20. Jahrhunderts die unumstrittenen Zentren
11:33
und die Fixpunkte der Reiche im Grunde sich auflösen, verschwinden und stattdessen durch
11:39
die Vielstimmigkeit in der modernen Demokratie ersetzt werden. Und einen zentralen Grund
11:45
sieht er darin, dass eben in so einem System von einzelnen Herrschern, Königen, Kaisern
11:51
der Krieg im Grunde dazu gehört. Das ist einfach eine Konfliktaustragung zwischen diesen Einzelpersonen
11:57
im Grunde. Der Krieg ist dann natürlicher Mechanismus und das jetzt aber sich mit dem
12:05
ersten und dem zweiten Weltkrieg dann gezeigt hat, dass Kriege zu teuer werden im Grunde.
12:11
Also zu viele Menschenleben, Kosten zu schrecklich und zu grausam getrieben werden, als dass sie
12:17
weiter als so ja mal eben Konfliktlösungsmechanismus, weil wir mal da ein paar tausend Soldaten
12:22
und da ein paar tausend Soldaten aufeinander losschicken, sondern sich jetzt im Grunde so
12:27
aufgeblasen haben, dass das nicht mehr funktioniert. Weil quasi gesamte Nationen miteinander im
12:35
Krieg stehen und weniger die jeweiligen Monarchen, die ihre Rivalitäten austragen. Ja, weil auch
12:44
einfach durch die modernen Waffen ein ganz anderer Eindruck im Grunde möglich ist, ganz
12:51
andere Schäden angerichtet werden können als einer klassischeren 1 zu 1 Kriegsführung
12:57
im Grunde. Und dass das eben dazu geführt hat, dass sich die moderne Demokratie eben mit
13:03
ihrer Vielstimmigkeit ergeben hat, weil da der Krieg nicht mehr so ein einfach eingesetzter
13:09
Problemlöse oder Konfliktlösemechanismus ist. Also man merkt schon die Argumentation, die
13:15
er aufbaut, ist relativ einfach, aber ich finde, sie hält sich doch über den ganzen Weg einigen
13:22
Aspekten ganz gut. Das wäre jetzt bei dem Krieg, das wäre so ein Punkt, wo ich vielleicht
13:25
so einen ganz kleinen Tacken widersprechen würde. Was dann aber so einen der ganz ganz
13:31
grundlegenden Aspekte ist, der dann auch im Grunde näher um in der gleichen Zeit mehr
13:37
oder weniger aufkommt, auch teilweise noch vor den Weltkriegen, ist der Individualismus,
13:42
der im Grunde gerade in seiner radikalen Form, also wie man jetzt nama, der da immer wieder
13:49
auftaucht, ist Ayn Rand, die auch in libertären Kreisen immer noch hoch gehalten und hoch
13:55
geschätzt wird. Der Individualismusboot in dieser Zeit, in der im Grunde die Zentral-,
14:02
die Zentren, die ideengeschichtlichen Zentren oder so der Welt nicht mehr da waren, bot
14:07
der im Grunde einen sehr attraktiven und sehr einfachen Ankerpunkt. Der bot nämlich das
14:12
Ich. Also es gibt draußen in der Welt nicht mehr das, was mir mein Leben vorgibt oder
14:17
die unhinterfragten Regeln, an denen ich mich orientieren muss, aber es gibt mich.
14:22
Ja. Und deswegen führt der Idealismus halt dazu, dass dieses Ich so ins Zentrum gesetzt
14:29
wird. Das war im Grunde vorher gar nicht möglich, weil diese äußeren Rahmenbedingungen,
14:33
diese äußeren Strukturen das verhindert haben. Aber jetzt, wo sie wegfallen, ist auf einmal
14:39
das Ich da und kann sehr stark werden.
14:41
Wir hatten das in Pädagogik in der Einführungsvorlesung, ja, wobei nicht ganz in der Einführungsvorlesung,
14:49
aber ein bisschen später im Laufe des Pädagogikstudiums hat mal einer meiner liebsten Professoren
14:53
gesagt, das Individuum ist eine Erfindung der Moderne, was glaube ich ziemlich genau
14:58
das auch ist. Genauso vorher war es glaube ich, also in der Form Moderne war es einfach
15:06
auch nicht möglich, sich selbst außerhalb der strukturellen Zusammenhänge zu denken,
15:12
in die man eben hineingeboren wird. Also man wird halt groß, wie man groß wird und dagegen
15:17
kannst du halt auch nichts machen. Also jede Form der freien Entfaltung ist einfach unmöglich,
15:23
sowohl als König als auch als irgendwie einfacher Bauer oder so.
15:26
Genau und dieses Zentrum, diese Strukturen sind halt weggefallen. Im Grunde schmettestens
15:31
mit dem Wegfall der Reich nach dem Ersten Weltkrieg.
15:35
Genau, was dieser Individualismus aber nicht kann, ist die Frage nach dem Ausgleich unterschiedlicher
15:43
Interessen zu beantworten. Weil der Individualismus, der kann erstmal nur sagen, was will ich
15:47
und wie kriege ich was ich will. Aber was passiert, wenn verschiedene X aufeinander treffen?
15:53
Das ist ein Aspekt, wo der jetzt erstmal keine Antwort bietet.
15:57
So, jetzt haben wir auch schon die ersten 5 Vierpunkte uns angeschaut. Jetzt kommt ein
16:04
weiterer Aspekt, der jetzt historisch ein bisschen früher vielleicht ist als der Hardcore-Individualismus,
16:09
aber der da wichtig mit reinspielt. Das ist nämlich die Idee, Higgs bringt das jetzt auf
16:14
den Begriff des S, also des psychoanalytischen S bei Sigmund Freud. Aber man könnte auch
16:20
das Unbewusste oder ähnliches einziehen. Aber ich finde das ganz schön, weil er diese Zentren,
16:27
diese Omphaloi, von denen ich gerade schon gesprochen habe, ein bisschen in diesem Freudischen
16:32
Modell mit Überich, Ace und Ego, mit dem Überich gleich setzt. Das heißt, das ist im Grunde
16:39
die Instanz, die die individuellen Triebe so ein bisschen im Zaum hält. Die kontrolliert,
16:46
dass wir eben nicht brandschatzend und morden durch die Stadt laufen, nur weil uns gerade
16:50
danach ist. Um es jetzt mal zu übertragen, ein bisschen zu spitzeln. Und für ihn ist eben
16:55
der Wegfall dieser Omphaloi genau so etwas wie der Wegfall dieses Überichs. Und mit dem
17:02
Individualismus zusammen wird dann im Grunde so ein bisschen dieses S befreit. Diese Triebe,
17:08
diese Impulse, diese urtümlichen Impulse, die wir Menschen dann doch auch noch irgendwie
17:12
in uns tragen, die werden auf einmal nicht mehr reguliert oder nicht mehr gefangen gehalten
17:17
von anderen Strukturen und werden dementsprechend auch anfällig für Manipulation und Hass auf
17:26
andere. Einfach weil da Impulse da sind und ja, es ist mal schnell gesagt, ich hasse dich
17:32
oder so, aber meistens reguliert dann doch irgendwas rein, was sagt neben, aber lebt
17:37
das mal besser nicht aus. Und für Freud ist halt das, oder nicht für Freud, für Hicks,
17:43
ist eben der Wegfall dieser Omphaloi genau der Wegfall dieser Regulierung. Was für ihn
17:48
auch ein Grund ist, warum es eben gerade im zweiten Weltkrieg zu diesen Genoziden kommen
17:55
konnte. - Huiuiui. Das ist natürlich, ja. - Wildes Argument, aber... - Ist auf jeden
18:04
Fall mal spannend. Aber ich finde es ja ganz interessant, wenn Leute sich an so Großtheorien
18:11
quasi mal ranwagen. Und der wird selbst wissen, dass so eine einfache Erklärung natürlich
18:18
unterkomplex ist. - Natürlich. Ganz klar. Er sagt halt, er will wirklich mal versuchen,
18:23
eine grobe Erzählung da drüber zu legen. Das finde ich tatsächlich an vielen Punkten
18:28
gar nicht so untreffend. Genau. Dann bringt er noch den Aspekt, das ist der nächste Feld,
18:36
das wäre die Unsicherheit. Da will ich aber gar nicht so viel zu sagen, weil ich das eigentlich
18:40
ganz am Anfang schon gebracht habe. Da ist jetzt bei ihm dieser Aspekt der Quantenmechanik
18:46
spielt er jetzt rein, aber den habe ich ja vorhin schon angesprochen. Jetzt verlässt
18:53
er aber tatsächlich seine Struktur auch nochmal und finde ich aber ganz schön, nimmt mein
18:57
persönliches Lieblingsroman-Genre als einen dieser 15 Aspekte auf, nämlich die Science
19:02
Fiction. Er macht das nämlich deswegen, weil er sagt, dass das, was in der Science Fiction
19:10
beschrieben wird, man immer so ein bisschen als Frühwarnsystem für gesellschaftliche
19:15
Entwicklung verstehen kann. Weil es irgendwie, weil in der Science Fiction gerne die Themen
19:20
angesprochen werden, die gerade noch nicht aktuell sind, aber bald aktuell werden könnten.
19:25
Und das sieht man ja auch tatsächlich. Wenn man sich das so über das 20. Jahrhundert anguckt,
19:31
dass dann lange Zeit es so eine super techno-optimistische Phase gab, in der Technik irgendwie alle
19:37
Probleme löst und alles ist gut und wir erobern das Weltall und so weiter und so fort, dann
19:43
gab es aber eben auch die Strömung, die sich ganz stark mit dem Kalten Krieg auseinandergesetzt
19:48
hat, also mit der Bedrohung durch Atomwaffen und Ähnliches. Und er sieht hier so was Ähnliches
19:56
wie, dass sich in dem Genre eine leichte Abkehr vom Individualismus zeigt. Dass da wieder andere
20:02
Fragen, strukturellere Fragen mehr in den Mittelpunkt rücken. Da hat er glaube ich an vielen Stellen
20:09
tatsächlich recht. Das sehe ich ähnlich im Genre. Das würde jetzt aber hierzu weitführen,
20:14
das auszuführen. Ich wollte gerade sagen, dafür stecke ich in dem ganzen Science-Fiction-Ding
20:19
überhaupt gar nicht drin. Was mich noch interessieren würde, ich habe neulich mal irgendwo als
20:23
Überschrift, ich habe komplett vergessen wo, gelesen, dass es durchaus auch die andere Orientierung
20:28
im Amtpunkt zugibt, dass eben so technische Visionen oder Ideen sich daran orientieren,
20:34
was halt in der Science-Fiction eine Zeit lang unmöglich erschienen, aber eben gedacht wurde,
20:39
geht er darauf auch ein, inwiefern die Science-Fiction quasi auch in die Wirklichkeit zurückwirkt
20:44
oder nur andersrum? Nee, er geht da jetzt erstmal nur auf der Ebene drauf ein. Also so dieses
20:50
Frühwarnsystem quasi. Also er sagt doch nicht, dass Science-Fiction das auslöst, sondern
20:54
dass man es da als Frühwarnsystem sehen kann. Wobei ich mit diesem Individualismus da vielleicht
21:01
das kleine Gegen, also seiner Behauptung, dass es da eine Abkehr vom Individualismus gibt,
21:05
das Gegenbeispiel, eine Gegenstölle stelle, was aber vielleicht auch schon ein paar Jährchen
21:09
alt ist, ist die Zombie-Phase. Und wenn Zombies eins sind, dann sind das individualistische
21:15
Dumme nur ihren Trieben folgende Wesen. Und wenn ich das als Zukunftsvision hätte, fände
21:22
ich, wäre ich da nicht so begeistert von. Aber gut, er sieht das optimistisch an der Stelle.
21:27
Nun gut. Da kann man jetzt darüber streiten. Wir werden auch gleich noch an einen relevanteren
21:33
Punkt kommen, wo das nochmal zentraler wird. Dann geht er wieder ein bisschen in die Philosophie
21:39
und greift die Idee des Nihilismus auf oder auch des Existenzialismus, die ja doch ein
21:44
bisschen verwandt sind. Und er sagt, dass im Grunde das Ende der Gewissheiten erstmal
21:50
zu einer gewissen Lehre geführt hat. Oder ich habe das in meiner Notiz in transsendentale
21:55
Lehre genannt. Also da ist irgendwo ein Loch entstanden, wo das vorher war. Und in der ersten
22:01
Hälfte des 20. Jahrhunderts waren wir dann doch irgendwie damit beschäftigt, diese komischen
22:05
Weltkriege zu kämpfen und mit den ganzen Nachwirkungen umzugehen, die das so hatte.
22:13
Und dann erst Mitte des Jahrhunderts die Gelegenheit im Grunde aufkam, mal zu reflektieren
22:20
und mal darüber nachzudenken, was ist denn jetzt eigentlich unsere Situation. Und dass
22:24
da dann diese sinnleere Isolation und dieses Wegfallen des Sinns im Grunde erst explizit
22:33
wird oder explizit gemacht wird und eben zu sagen, dass philosophische Strömungen wie
22:38
der Existenzialismus oder der Nihilismus eben diese Sinnlosigkeit in gewisser Weise
22:43
ansprechen und thematisieren können. Weil da erst die Kapazität dazu da ist, da mal
22:47
darüber nachzudenken. Okay, das finde ich ganz spannend. Dann spricht er das ganze Thema
22:56
Weltraum und Weltall an, das ist sein nächster relevanter Punkt. Also siehst du, er springt
23:01
wirklich irgendwie so durch die Bereiche. Ist wild auf jeden Fall, ja. Definitiv. Es wird
23:07
auch gleich noch wilder. Und da ist mir nicht so richtig klar, wie das in seine Erzählung
23:12
passt. Mein Gefühl ist, dass er das vor allen Dingen so als Beispiel für einen Konflikt
23:17
um eine neue intellektuelle Vorherrschaft sieht. Also dass auch David sich im Grunde so imperiale
23:24
Muster wieder zeigen, dass eben zwei große "Reiche" sich in gewisser Weise um eine
23:29
Vorherrschaft kloppen. Dass das aber eben nicht nur auf so einer rein strukturellen
23:35
Ebene passiert, sondern er auch ganz viele Einzelpersonen als Beispiel nimmt, die in
23:40
diesem Space Race, also den Wettlauf ums All, den wir ja vor allen Dingen in 60er Jahren
23:48
sehr intensiv hatten, als Beispiel nimmt, dass da auch ganz viel individueller Fanatismus
23:53
hintersteckte. Von individuellen Forschern und Personen, die das ganz massiv vorangetrieben
23:59
haben, auch gegen alle Widerstände. Genau, und das jetzt gar nicht so sehr erstmal als
24:04
staatliche, als staatlichen Prozess geframt haben, sondern der Staat ist dann quasi nachher
24:10
oder die Staatinnen sind dann nachher darauf aufgesprungen, als sich zeigt, da kann man
24:14
was mit machen. Also es ist ja zumindest in der Kolonialgeschichte Deutschlands zum Beispiel
24:19
auch so gewesen. Also wenn wir jetzt da ein bisschen zurückblicken, also so Kolonialisierung
24:25
des heutigen Namibier und so, das war, wie hieß denn dieser, das war irgend so ein Tabakhändler
24:31
Lützendorf oder so ähnlich, der da erst als verrückter Einzeltyp quasi hinmarschiert ist
24:36
und immer ganz ergebend drum gebettet hat, dass er doch bitte Schutz von der deutschen
24:40
Marine und so kriegen kann. Und das hat Bismarck immer abgekanzelt und naja, später wurde das
24:47
eben dann ja doch eben deutsche Kolonie. Also von daher ist, also weiß ich, ich kenne mich
24:53
sonst in der Kolonialgeschichte leider nicht so gut aus, weiß ich nicht, wie das sonst
24:58
war in quasi anderen, ja wenn man es so nennen möchte, Zeiten von Entdeckungen, aber ich
25:04
könnte mir vorstellen, dass das durchaus strukturell ähnlich ist wie quasi im richtigen
25:10
Imperialismus. - Ja, ne stimmt, das kann durchaus sein. Da stecke ich jetzt aber auch nicht genug
25:16
drin, um das einschätzen zu können. Jetzt kommen wir so langsam in den Bereich, wo Higgs
25:22
ein bisschen kontrovers wird. Also ich gebe jetzt gleich die Argumentation von Higgs wieder.
25:26
Ich sage gleich dazu, dass ich in beiden Themen, die jetzt kommen, nicht genug drin stecke,
25:30
um die wirklich die Angemessenheit überprüfen zu können. Das ist mir hier an der Einstellung
25:35
ganz wichtig, denn das nächste Thema, was er anspricht, ist die sexuelle Revolution oder
25:40
die sexuelle Befreiung oder Emanzipation oder wie man es nennen will. Und er zeichnet halt
25:46
wirklich so auf 20 Seiten in dem Buch ganz kurz eben diese Entwicklung über das Jahrhundert
25:51
nach und zeigt halt auf, dass die ersten Proponenten, die irgendwie Verhütung oder das Thema Verhütung
25:57
vorangetrieben haben, moralisch sehr sehr konservativ waren. Also da ging es nicht um Emanzipation
26:04
oder Befreiung der Frau, sondern da ging es im Grunde um eine weitere Überhöhung und
26:10
die wahre Erfüllung der klassischen Ehe, also auch der relativ klassischen Rollenverteilung.
26:17
Nur eben jetzt auf eine intensivierte und wie gesagt fast schon spirituelle Form irgendwie
26:24
ins Framing gebracht werden. Da reden wir jetzt aber auch tatsächlich noch von der ersten
26:28
Hälfte des 20. Jahrhunderts. Okay. Dann ist in dieser Entwicklung natürlich, kommt man
26:34
nicht um rum, die Revolution der 1960er Jahre oder Ende der 60er Jahre anzusprechen,
26:40
wo dann auch Verhütungsmittel immer weiter verfügbar wurden und dann mit der Pille ja
26:48
auch im Grunde das demografisch deutlich sichtbare Effekte hatten, was den Nachwuchsschwangerschaften
26:56
anging. Und da ist er auch gegenüber dieser 68er Revolution sehr sehr kritisch insofern,
27:03
als dass es seiner Wahrnehmung nach da gar nicht um eine Emanzipation oder eine Befreiung
27:10
der Frau aus den etablierten Machtstrukturen geht, sondern tatsächlich ihre Objektivierung
27:15
im Grunde noch weiter vorangetrieben wurde. Und jetzt halt nur die damit verbundene Gefahr,
27:20
dass da eventuell irgendwie eine Schwangerschaft bei rumkommen könnte, dass sie die im Grunde
27:24
wegfiel. Das heißt, dass Frauen im Grunde noch besser objektiviert werden konnten, weil
27:29
jetzt mit noch weniger Konsequenzen verbunden ist. Also da geht es fast nach katholischer
27:36
Sexualmoral oder so. Ja, aber die würde ja auch sich gegen Verhütung wenden. Nee, das
27:40
stimmt. Also es richtet sich eben nicht gegen Sexualität, aber es richtet sich gegen eine
27:46
Gleichberechtigung oder gegen die Nichtobjektivierung sozusagen der Frau. Und das sieht er in dieser
27:57
Revolution noch nicht. Da sieht er im Grunde immer noch die alten Machtstrukturen am Werk
28:02
nur jetzt halt in einem individualistischen Kontext, dass halt in der Beziehung zwischen
28:06
einem Mann und einer Frau entsprechende Machtstrukturen irgendwie noch am, noch zugange sind. Vielleicht
28:12
muss man da stärker trennen zwischen der tatsächlichen 68er Revolution quasi oder dem
28:18
ganzen, die ja glaube ich in sich durchaus auch wirklich patriarchale Strukturen immer
28:23
mal wieder auch hatte. Gerade wenn es dann, also jetzt wird es irgendwie ein bisschen
28:29
wackelig bei mir, aber wenn es dann in den Bereich der Kommunen und so geht, ich glaube
28:33
die sind ja da durchaus geprägt von wirklich Machtstrukturen. Vielleicht muss man das ein
28:38
bisschen trennen von dann der Frauenbewegung im 20. Jahrhundert. Genau, also ich glaube
28:42
das macht er zwar nicht explizit, aber das würde ich auf jeden Fall da in diese Logik
28:46
reinlesen. Also vielleicht würde ich das dann als Kritik anmerken, dass man das vielleicht
28:52
auch ein bisschen trennen muss und gucken muss, wer sich denn jetzt eigentlich für was einsetzt.
28:56
Ja, ne finde ich, da sind voll, hier verlässt er auch gerade so ein bisschen seine, seine,
29:00
seine am Anfang sehr stringente Erzählung. Er führt das dann nachher aber wieder so ein
29:04
bisschen, bisschen zusammen. Genau, das war das Thema sexuelle Revolution und dann kommt
29:11
das Thema Jugendkultur. Er nennt das in seinem englischen Buch, nennt das Teenages, aber
29:17
ich finde irgendwie Jugendkultur passt da als Begriff ein bisschen besser. Weil er zeigt
29:23
eben im Grunde auf, wir sind jetzt historisch auch so in den 60er, 70er Jahren, auch noch
29:27
ein bisschen danach, dass sich Jugendkulturen entwickelt haben, die sich immer irgendwie
29:33
im Spannungsverhältnis zwischen Individualismus und im Großen Ganzen bewegt haben. Er macht
29:38
das, er macht das sehr schön, jetzt kommt sein popkultureller Hintergrund dazu. Er macht
29:42
das sehr schön, indem er im Grunde die Beatles mit den Rolling Stones vergleicht und hat
29:46
das auch immer gemacht. Das hat mein Vater auch immer gemacht, der hat immer gesagt,
29:49
man muss sich entscheiden. Ja genau und das liegt nicht nur an der Art der Musik, sondern
29:53
auch tatsächlich so ein bisschen vielleicht an der philosophischen Grundströmung. Und
29:57
er nennt halt exemplarisch von den Beatles den schönen Titel "All you need is love"
30:02
und von den Rolling Stones, da hat er jetzt nicht einen Titel, aber das fasst er zusammen
30:07
als "I want". Okay. So "I want it all, I can get no satisfaction" und wie sie alle heißen.
30:16
Und da sagt er im Grunde, die Jugendkultur hat sich immer zwischen diesen beiden Polen
30:19
bewegt, zwischen diesem individualistischen Pol, den er eben durch die Rolling Stones
30:25
symbolisiert und zwischen dem eher kollektivistischeren Pol, emotionaleren Pol, den er eben über
30:31
die Beatles symbolisiert. Er kommt dann aber zu dem Schluss, dass eigentlich die Beatles
30:39
nie eine Chance hatten, also diese Beatles-Idee, sondern dass der "I want" Perspektive
30:47
sich durchgesetzt hat. Mir ist nicht ganz klar geworden, wie er das begründet, außer
30:52
aus dem, dass das halt so sein Eindruck ist. Aber gut, das ist ja seine Geschichte des
30:58
Individualismus, insofern passt das natürlich auch sehr gut in die Geschichte. Aber vielleicht
31:02
ist das so das große Ganze den Beatles dann auch so der erste Ansatzpunkt einer gewissen
31:08
Gegenbewegung oder so. Intuitiv finde ich es aber schon relativ eingängig zu sagen,
31:14
okay, die Beatles haben sich vielleicht nicht durchgesetzt. Ich weiß gar nicht, wer kommerziell
31:19
erfolgreicher war. Ich würde da fast sagen, die Beatles. Meine Vermutung, die Rolling Stones,
31:24
weil sie länger danach noch aktiv waren, aber das kommt dann auch daran, was man misst und
31:29
so. Aber ich finde den Konflikt eigentlich ganz schön spannend aufgezeichnet. Absolut,
31:34
finde ich auch eine interessante Denkweise. Was ich dann ganz schön fand, dass er diesen
31:39
Sieg des Individualismus, also das ist im Grunde so der Punkt, wo er jetzt sagt, okay,
31:42
jetzt ist der Individualismus an seinem Höhepunkt angelangt, dass er sagt, das ist nicht das
31:48
Ziel, die endgültige Entwicklung des Menschen hat. Er hört die Entwicklung des Menschen
31:52
nicht auf, sondern es ist im Grunde eine notwendige Entwicklungsphase. Und wenn ich das richtig
31:58
in Erinnerung habe, vergleicht er das an der Stelle, ja, auch schon wirklich mit der menschlichen
32:04
Pubertät. Dass er eben sagt, dass Kinder noch in sehr klare familiale Strukturen eingebunden
32:11
sind, die sie auch erstmal grundsätzlich nicht hinterfragen, auch wenn dann natürlich viele
32:14
Konflikte und Einzelstreits und so weiter irgendwie eine Rolle spielen, aber dass die
32:18
erstmal in diesen Strukturen sind, in diesen Strukturen leben und sich in diesen Strukturen
32:22
bewegen und dann die Pubertät eben die Phase ist, wo sie diese Strukturen abwerfen und
32:27
versuchen sich eigene Strukturen aufzubauen. Jetzt wird vielleicht auch schon die Parallele
32:33
seiner Argumentation über das 20. Jahrhundert ein bisschen deutlich. Ja, ja, es leutet sich
32:40
so ein bisschen an. Und jetzt verstärkt sich der Verlust der Omphaloi nochmal wieder ein
32:46
bisschen mit dem ganzen Thema der Chaos Theorie, der Chaos Forschung. Das ist jetzt sein nächster
32:51
Aspekt, den er anspricht, dass wir jetzt nicht nur irgendwie so das Gefühl haben, ja, die
32:56
Welt ist irgendwie nach oben und nach unten sehr anders als wir sie wahrnehmen, sondern
33:02
auch in dem, was wir wahrnehmen, gibt es Strukturen, die extrem dynamisch sind, die wir eigentlich
33:08
nicht kontrollieren, die wir eigentlich nicht beherrschen können, die auch ganz plötzlich
33:13
kippen können, ohne dass wir wirklich vorhersagen können, warum. Ein Thema, wo wir das ja gerade
33:18
ganz viel haben, ist die ganze Klimadiskussion, wo man ja einen Grunden nicht damit rechnet,
33:23
dass das irgendwie eine lineare Entwicklung ist, das wird dann immer weiter ein bisschen
33:26
schlimmer, sondern wo halt viele auch mit so Kipppunkten oder Tipping Points rechnen,
33:31
so dem einen Punkt, wo es dann auf einmal richtig bergab geht, so den Punkt, wo dann
33:36
die Piste richtig Fahrt aufnimmt und es auf einmal richtig bergab geht oder bergauf in
33:40
anderen. Und ab und zu kommen Forschungen raus, die sagen, wir haben uns verschätzt, das ist
33:43
doch noch viel früher. Ja, genau. Manchmal auch ist es doch noch viel später, aber leider
33:49
seltener gefühlt. Genau, und das führt halt auch nochmal dazu, dass selbst jetzt die uns
33:54
bekannte Welt im Grunde eigentlich instabil und unberechenbar wird, dass wir selbst in dem,
33:59
was wir alltäglich wahrnehmen, gerade in etwas komplexeren Strukturen, im Grunde keine Kontrolle
34:04
mehr drin haben. Sodass so die Idee des Chaos, die er aufgreift. Jetzt kommen wir zum, ich
34:13
sitze jetzt noch mal bei der 13. Idee oder so was, ja wir sind schon bei der 13. Idee,
34:16
unglaublich. Ich habe noch eine Frage zum Chaos. Ja, natürlich. Sagt er da was? Also ich finde
34:20
intuitiv bietet sich erstmal an, dann Chaos mit Gott zu vergleichen, sonst war Gott ja
34:30
davor, also Göttlichkeit eine häufige Erklärung für alles Mögliche, was so ein bisschen, okay
34:36
wissen wir nicht genau, kommt jetzt als Strafe, müssen wir mit umgehen oder so. Nee, spricht
34:41
er glaube ich nicht explizit an, zumindest nicht ausführlicher. Okay. Vielleicht mal
34:44
den Nebensatz oder so, aber jetzt nicht zentral. Na gut. Genau, jetzt kommen wir zum nächsten
34:50
Punkt, der vielleicht auch ein bisschen mit dem Buch aus der letzten Episode uns verbindet,
34:54
nämlich dem Punkte Wachstum. So, er macht da jetzt wieder das große Bild im Grunde über
35:01
das Jahr 100 auf und zeigt halt auf, dass gerade in der Nachkriegszeit im Grunde der Staat
35:07
immer mehr die Rolle des ehemaligen Souveräns übernommen hat, also des Herrschers, Kaisers
35:12
Königs, was auch immer, und es auch für seine, in seiner Verantwortung sah, für das Wohl
35:17
der Menschen zu sorgen. Also die klassische sozialpolitische Schiene im Grunde, dass der
35:24
Staat immer auch für das Wohl seiner Bürger oder Bewohner verantwortlich ist, doch dass
35:30
das durch den Individualismus und den daraus entstandenen Neoliberalismus immer mehr
35:36
dieser Aufgaben an Unternehmen übertragen werden, die halt nicht mehr an Entscheidungen
35:42
des Staates oder politische Prozesse gebunden sind, sondern an Prozesse des Marktes. Also
35:46
auch wieder an den Individualismus weiter gereicht wurden.
35:52
Ja, okay.
35:53
Ein Beispiel, was er da nennt, was später dann auch noch eine ganz wichtige Rolle spielt,
35:59
das ist das Phänomen in den USA, dass es da Unternehmen geschafft haben, für sich selbst
36:05
den Status einer Person zu erkämpfen, also über einige sehr maßgebliche Rechtsstreite.
36:12
Das heißt, dass Unternehmen, als Unternehmen im Grunde alle Rechte geltend machen können,
36:17
die auch natürliche Personen geltend machen können. Das heißt, dass das, was vorher auch
36:23
in den USA ja in hohem Maße individualistisch auf Personen zugemünzt wurde, die Rechte wurden
36:29
jetzt auch Organisation oder Unternehmen zugestanden. Das Problem dabei ist, dass gerade, also jetzt
36:37
wenn man im staatlichen Ebene sind, strafrechtliche Regeln nicht darauf angepasst werden. Und
36:43
man kann ja schlechte Organisation in den Knast schicken, um es jetzt mal so zu formulieren.
36:48
Das heißt, die haben es durch diese rechtliche Form geschafft, die allermeisten Rechte von
36:53
Personen sich zu greifen, sich zu, na verdienen wäre zu viel gesagt, derer sich zu bemächtigen,
37:00
ohne gleichzeitig an vielen Stellen an die moralischen und strafrechtlichen Regelungen
37:05
gebunden zu sein. Einfach weil die nicht umsetzbar sind. Ich kann die Organisation nicht verknasten,
37:12
ich kann aber auch den Vorstandsvorsitzenden nicht verknasten, weil er persönlich hat ja nichts gemacht.
37:18
Das war ja die Organisation.
37:20
Manager von VW erleben das ein bisschen anders gerade.
37:23
Ja, die erleben das ein bisschen anders. Da ist dann vielleicht auch wieder, vielleicht
37:26
sich da rechtlich auch was geändert in den letzten 10, 20 Jahren in den USA. Aber das ist eben die Idee dahinter.
37:33
Und zum einen muss man sagen, ich habe tatsächlich auch bei den Urteilen jetzt in den USA immer gedacht,
37:38
das ist ja meinetwegen schön und gut. Zum einen denke ich aber trotzdem, dass solche
37:44
Strafregelungen völlig außer Acht lassen, in welche organisationalen Verbindungen diese
37:48
Einzelpersonen eingelassen sind und ich mich wirklich schwer damit tue zu sagen, okay, ist das irgendwie
37:53
angebracht oder nicht. Und zum anderen denke ich, es stört halt die Organisation, die damit getroffen
38:00
werden soll ja mutmaßlich. Aber wirklich überhaupt nicht. Man als Manager wird man schon auch finden irgendwo.
38:06
Genau. Also was er halt besonders damit anspricht, ist, dass sich so eine Feedback-Schleife aufgelöst hat
38:12
für das Handeln von Organisationen und die halt gleichzeitig auch immer mehr Aufgaben sozusagen
38:17
übertragen bekommen. Und dann eben auch noch durch das Ende des Goldstandards.
38:22
Ganz kurz kannst du noch mal eben was zu den Feedback-Schleifen sagen, was damit gemeint ist?
38:27
Also das Handeln, was irgendwie in gewissen Regeln unterliegt oder was gewissen Regeln unterliegen sollte.
38:33
Also wo man sagt, früher war das eben der König, hat halt gesagt, was geht und was nicht geht.
38:37
Und jetzt gibt es halt nicht mehr die zentrale Instanz, die sagt, was geht und was nicht geht.
38:41
Das ist in erster Linie noch der Start. Aber hier eben auch immer mehr Dinge sozusagen aus dieser
38:47
Logik rauswandern und es im Grunde keine Feedback-Schleifen mehr gibt, die über den Markt hinausgehen.
38:52
Das heißt, die einzige Rückmeldung, die für Unternehmen jetzt in dieser Logik zählt, ist die Rückmeldung über den Markt.
38:58
Und da haben wir in der letzten Episode gehört, wie das mit den Märkten so bestellt ist.
39:03
Da geht er jetzt glaube ich tatsächlich noch nicht mal so richtig drauf ein.
39:06
Und dann macht er eben auch noch deutlich, dass eben diese wirtschaftlichen Strukturen sich auch immer weiter
39:14
von der realen, von der physischen Welt entkoppeln. Das heißt zum Beispiel, das Beispiel, was er bringt,
39:21
ist das Ende des Goldstandards. Der Goldstandard, das war diese Zeit, in der der Wert einer Währung immer
39:27
an eine gewisse Menge Gold gekoppelt war, wo man im Grunde mit seinem Geld zur Bank gehen konnte
39:34
und ein Recht darauf hatte, einen entsprechenden Gegenwert in Gold zu bekommen.
39:38
Das heißt, das führt zu einer gewissen Regulierung, einer gewissen Bindung des Geldes an etwas physisches.
39:44
Und das ist ja auch, oh Gott, jetzt weiß ich nicht mehr, wann das geändert hat.
39:48
Ich meine irgendwann Ende der 70er, ich meine ich wäre es gewesen.
39:52
Zu spät erst, ich habe es tatsächlich ein bisschen früher im Kopf, aber ich bin auch...
39:56
Das kann auch sein, dass das das Wechselkurssystem war. Da gab es einige Änderungen in der zweiten Hälfte
40:02
des 20. Jahrhunderts, wo dann sich ein paar Sachen nochmal wieder verschoben haben.
40:06
Und auch da geht es eben darum, dass wieder Feedback rausgenommen wird.
40:09
Also ja, da ist so viel Geld, wir haben aber gar nicht so viel Gold. Ja, egal.
40:14
Also es wird halt im Grunde entkoppelt. Oder auch Globalisierung spricht ja auch als Thema an,
40:20
wo eben auch durch den Fluss von Kapitalgrad, des Globalen, aber auch von Gütern,
40:25
sich im Grunde die Wirtschaft immer mehr von ihrer lokalen Umgebung und von den unmittelbar mit ihr verbundenen Menschen
40:31
im Grunde entkoppelt und loslöst. Also da geht es ganz stark um den Verlust dieser Feedback-Schleifen
40:37
oder dass die gar nicht erst entstehen.
40:41
Das finde ich spannend auf jeden Fall. Ja, fand ich auch eine spannende Idee.
40:45
Er bietet dann ganz zum Schluss auch noch eine Lösung dafür an, die ich aber leider nur so halb überzeugend finde.
40:49
Aber dazu kommen wir gleich.
40:51
Jetzt sind wir auch schon beim vorletzten Punkt, das den er für das 20. Jahrhundert für sehr relevant,
40:59
für sehr wichtig hält. Das ist der Postmodernismus als philosophische Idee.
41:05
Auch da geht es wieder um den Verlust dieses "Omphalos" oder der "Omphaloi", wenn es mehrere gäbe,
41:11
wo der Postmodernismus im Grunde davon ausgeht, dass es keine externe Instanz als Wertmaßstab von irgendetwas mehr geben kann.
41:21
Das heißt, da sind wir dann auch ganz eng beim Konstruktivismus, den du ja auch gerade schon angesprochen hast.
41:26
Das heißt, dass wir auf die Welt blicken und eigentlich gar nicht mehr sagen können, das ist objektiv gut, das ist objektiv schlecht,
41:32
sondern immer sagen müssen, ja, das kommt darauf an, welche Argumente und aus welcher Position und so weiter und so fort.
41:39
Das Ironische dabei ist, dass der Postmodernismus gerade von der Wissenschaft am Anfang sehr umarmt worden ist.
41:45
Die fanden die Idee total cool. Ich meine, unsere Soziologie ist da ja nun maßgeblich daran beteiligt.
41:53
In mittlerweile aber doch in großen Teilen wieder verstoßen hat sozusagen, wie den ungeliebten Sohn,
42:02
weil er im Grunde Wissenschaft genau so ein externer Maßstab ist.
42:06
Das ist ja genau das, was wir gerade in den öffentlichen Diskussionen haben.
42:11
Ja, wenn alles relativ ist, dann was soll denn die Wissenschaft mir sagen, weil das ist doch sowieso nur relativ, was sie sagt.
42:17
Das spricht er hier an und das fand ich sehr, sehr schön, dass er das sagt, dass dieses Verstoßen dann irgendwie dazu geführt hat,
42:29
dass zwar die meisten davon überzeugt sind, dass es nur die eine Wahrheit gibt, also dass es möglich ist,
42:35
eine objektive Wahrheit zu einer wissenschaftlichen Frage zum Beispiel zu formulieren, dass sich aber drum gestritten wird, wer sie besitzt.
42:43
Also nicht, okay, lass uns zusammen versuchen, diese Wahrheit zu finden, sondern ich habe die Wahrheit, nein, ich habe die Wahrheit.
42:51
Ach, spannend.
42:53
Das ist so der Wechsel, den er da wahrnimmt. Keine Ahnung, wie weit der auch empirisch nachweisbar wäre,
42:59
aber ich finde das als Gedankengang mal ganz spannend, dass sich da so ein bisschen die Struktur der Diskussion im Grunde verändert hat.
43:06
Das finde ich auch interessant. Ich weiß nicht, also jetzt bei uns in "Außer Soziologie" habe ich schon das Gefühl,
43:11
dass der Konstruktivismus extrem weit eingesickert ist.
43:15
Ja, aber, Entschuldigung, dein Lieblingsbeispiel?
43:20
Also nein, mein Lieblingstheoretiker ist auch da ja maximal von betroffen, ich bin ja, bzw. der Theoretiker, mit dem ich mich ja meistens auseinandergesetzt habe,
43:29
Luhmann ist da ja auch ganz tief da. Von daher finde ich das ganz spannend, dass er sagt, dass die allgemeine Überzeugung sei,
43:37
man könne sich irgendwie auf eine Wahrheit einigen. Also, weiß ich nicht, ob das in der, gerade in der Soziologie so geteilt werden würde.
43:45
Ja, ich glaube, da ist die Soziologie tatsächlich wahrscheinlich nochmal wirklich ein Ausnahmefall,
43:51
weil wir ja auch einfach auf soziale Phänomene blicken, die immer irgendwie unterschiedliche Perspektiven haben.
43:57
Das bezog sich auch ganz stark eben auf einen Blick auf Naturwissenschaften zum Beispiel.
44:01
Ja, gut, da ist das glaube ich ganz anders.
44:04
Und er sieht dann eben auch die Lösung für das Dilemma darin, dass wir einfach lernen müssen zu akzeptieren, dass unterschiedliche Modelle existieren
44:12
und die auf unterschiedlichen Ebenen Gültigkeit besitzen. Also, wie wir das in der Physik ja zum Beispiel schon tun,
44:16
wo wir wissen, ja, so auf galaktischer, auf großen Ebenen, da haben wir das irgendwie mit Relativitätstheorie zu tun.
44:22
Auf der Erde können wir bis zu einem gewissen Maß ziemlich gut mit Newton arbeiten.
44:27
Und wenn wir dann irgendwie ins Subautomare reingucken müssen, dann müssen wir mit den Quanten anfangen.
44:32
Also so, da geht das ganz gut und das ist so ein bisschen seine Lösung für dieses Dilemma.
44:37
Ich bin nicht ganz so optimistisch, dass das sich weit verbreiten wird, weil das doch sehr...
44:43
Ja, auch einfach weil die lustige Ebenenziehung, die du vielleicht da in der Physik aufmachen kannst,
44:47
ich kann das überhaupt nicht beurteilen inwiefern das tatsächlich valide ist, weil sich das auch einfach nicht überall so anbietet.
44:53
Ja, genau, da ist auf jeden Fall.
44:57
Und dann kommt im Grunde sein Versuch der Lösung, also dieser neuen Strukturen, die sich einziehen,
45:03
um eben die Feedback-Schleifen wieder aufzubauen, die verloren gegangen sind.
45:07
Und das ist die Idee der globalen Vernetzung.
45:11
Und das ist jetzt der Punkt, wo ich erstmal sein Argument wiedergebe, aber dann auch gleich große Zweifel anmelden möchte sozusagen.
45:19
Denn für ihn ist im Grunde die Vernetzung auf allen Ebenen, gerade auch über soziale Medien jetzt zum Beispiel, wenn es um eher Privates oder öffentliche Diskussionen geht,
45:31
im Grunde der Weg, so Feedback-Schleifen wieder einzuführen.
45:35
Das heißt, den Individualismus insofern einzufangen, als dass er wieder Konsequenzen zu spüren bekommt.
45:43
Dass es eben wieder eine Instanz gibt, die in gewisser Weise regulierend auf das Individuum einwirkt.
45:49
Das ist jetzt nur nicht mehr das Zentrum der König der Kaiser, sondern es ist eben die globale Community oder irgendwie sein Netzwerk, in das er sich eingebettet sieht.
46:01
So, da ist er sehr optimistisch, was das anbietet.
46:06
Und da habe ich die Vermutung, dass das einfach daran liegt, dass er dieses Buch im Jahr 2013 geschrieben hat.
46:13
Genau, du lachst schon, oder ist es 2015 gewesen, auf jeden Fall ist es schon ein bisschen her und es ist vor allen Dingen vor den ganz aktuellen Entwicklungen.
46:22
Und was er, glaube ich, hier massiv übersieht, ist, dass diese globale Vernetzung eben nicht global ist, sondern segmentär.
46:29
Dass sich verschiedene Netzwerke bilden, die gegeneinander relativ stark abgeschottet sind.
46:36
Oder die vielleicht wahrgenommen werden, aber die als nicht moralische Instanzen wahrgenommen werden.
46:43
Dass die rechte Filterblase vielleicht die Süddeutsche oder andere Zeitungen zwar wahrnimmt und mitkriegt, was die so berichten.
46:54
Dass aber nicht als moralische Regulierung empfindet, sondern da eben eher die soziale Bestärkung aus anderen Bereichen zieht.
47:02
Und dass er auch übersieht, dass diese ganzen Sachen, die er vorher angesprochen hat, wie zum Beispiel das Chaos, die entgegen chaotische Systeme,
47:10
die ja gerade durch eine Vernetzung extrem vorangetrieben wird, dass die natürlich in alle Richtungen laufen kann und nicht in Richtung zum Guten laufen muss.
47:19
Und deswegen sehe ich da seinen Optimismus leider nicht so.
47:27
Ich vermute aber, wenn man ihn jetzt fragen würde, ich habe nicht recherchiert, ob es eventuell ein Interview mit dem gibt, ein aktuelles,
47:32
ob er das dann vielleicht auch anders sehen würde. Das könnte ich mir sehr, sehr gut vorstellen.
47:36
Da finde ich auch spannend, gerade so bei globaler Vernetzung denke ich viel an unsere sozialen Netzwerke, die wir alle fleißig benutzen.
47:43
Die tatsächlich hat ja den Punkt des Wachstums, der irgendwie relativ, also es klingt bei mir so ein bisschen, als wäre da nicht,
47:51
als wäre da schon auch der Meinung, dass es relativ wild wuchert und die Unternehmen relativ unreguliert halt einfach sind,
48:00
eben weil sie keine Feedback-Schleifen haben. Und ich meine, gerade die Firmen, die uns die Netzwerke bereitstellen,
48:08
sind ja wirklich an der Speerspitze des Kapitalismus angesiedelt. Also es ist ja wirklich quasi der heißeste Scheiß aus dem Silicon Valley,
48:17
wo das Ganze herkommt. Ja, interessant, dass er da so ein Glauben reinsetzt.
48:25
Da war ich auch sehr, sehr überrascht. Mal gucken, vielleicht ist das aber auch so die Ebene, wo man sagen würde, ja, das ist die Lösung,
48:32
wir haben nur noch nicht die richtige Implementation dafür. Das kann natürlich auch sein.
48:35
Gut, das kann man natürlich immer sagen, ne? Ja, klar, das ist jetzt auch nicht das seltenste Argument von Kommunisten oder Sozialisten,
48:43
dass das doch funktionieren kann, wir haben es nur noch nicht richtig gemacht.
48:47
Genau, und das ist im Grunde so der große Bogen durch das 20. Jahrhundert, den Hicks in seinem Buch so schlägt.
48:55
Und? Ja. Und mutig auch, finde ich. Ich finde es sehr mutig.
49:00
Zumal, was ich auch sehr schön finde, er macht das eben immer so ein bisschen mit so einer leichten Ironie, mit so ein bisschen Humor, ne?
49:08
Im Englisch würde man sagen "Tang and Cheek". Und er macht das in einem Kapitel, macht das in einem Kapitel so ein Postmodernismus, ist das glaube ich.
49:17
Da beginnt er irgendwie damit zu erzählen, ja, wie Super Mario denn aufgebaut ist und wie absurd das doch eigentlich ist,
49:24
der italienische Klempner, der irgendwelche Pilze ist und auf irgendwelche Schildkröten springt, um eine Prinzessin aus einem Schloss vor einer Riesen-Schildkröte zu retten.
49:34
So, ne? Das eben so als Beispiel zu zeigen, dass es keine inhärente Sinnstruktur mehr gibt.
49:41
Dass man alles irgendwie, dass man mit allem davon kommen kann, wenn man das nur geschickt macht, mit jeder Kombination und mit jeder Mischung.
49:47
Und dann bringt er irgendwie so zehn Seiten später, macht er irgendwie ja ein Beispiel für Postmodernismus, ist auch,
49:52
dass ich dieses Kapitel damit anfangen konnte, Postmodernismus über Super Mario zu erklären.
49:57
Also er ist sich da auch so seine eigenen Positionen sehr, sehr, sehr bewusst und hat also wirklich unter anderem deswegen sehr großen...
50:05
Durch seine Selbstpositionierung auch transparent angreifbar quasi.
50:10
Ja.
50:11
Das finde ich immer sehr sympathisch, wenn Leute das quasi mitreflektieren in ihrem Schreiben und ihrem Sagen und ihrem Tun.
50:18
Also er macht das jetzt nicht übermäßig, also ich würde jetzt nicht sagen, dass er da tiefenreflektiert ist oder irgendwie kapitelweise drüber nachdenkt.
50:25
Aber man merkt schon, ja, er sieht da auch so eine gewisse...
50:29
Er ist sich sehr, sehr bewusst, dass das, was er da macht, ein sehr, sehr grober Hammer ist, den er irgendwie über das hier anerzieht.
50:35
Ja.
50:36
Das merkt man in seiner Argumentation. Wie gesagt, er mischt da ganz wild irgendwie wissenschaftliche Erkenntnis und Popkultur miteinander.
50:41
Super Mario habe ich angesprochen, Rolling Stones und Beatles, ja, also sehr viele sehr bunte Sachen, die da irgendwie durcheinander fliegen.
50:50
Aber ich finde es sehr, sehr überzeugend und ungenlässt. Und vor allen Dingen sehr unterhaltsam.
50:53
Also es macht auch wirklich Spaß zu lesen.
50:55
Das wollte ich gerade fragen, ob du sagen würdest, okay, das macht einfach auch Freude, das irgendwie runterzulesen. So klingt es ein bisschen.
51:02
Ja, auf jeden Fall. Ich weiß jetzt nicht, wie gut die Übersetzung ist natürlich. Ich habe es auf Englisch gelesen.
51:06
Aber es ist wirklich ein Buch, was man im Grunde auch ohne Vorbildung lesen und zum Großteil verstehen wird.
51:12
Und was auch noch Spaß macht zu lesen. Also er hat auch so einzelne Formulierungen, wo ich so denke, yo, das hat Kalenderspruchmaterialpotenzial für einen intellektuellen Tageskalender oder so.
51:26
Nee, es macht wirklich ganz, ganz großen Spaß zu lesen.
51:29
Und ist auch ein...
51:30
Wollen wir den Originaltitel nochmal nennen? Den haben wir nämlich noch gar nicht gesagt, glaube ich.
51:33
Ja, das Ding heißt "Original stranger than we can imagine". Da finde ich den deutschen Titel fast noch besser.
51:41
Witzig, das finde ich, das ist ja selten der Fall.
51:44
Ja, genau. Das dachte ich mir auch. Aber gut, der deutsche Titel lebt natürlich auch von dem Denglisch, das wiederum ein Beweis dafür ist, dass man diese Mischung machen kann und so.
51:53
Das ist natürlich nochmal...er hat dann auch, glaube ich, das Untertitel im Englischen "Making sense of the 20th Century" oder sowas.
52:00
Okay, damit man versteht, worum es geht.
52:03
Deswegen hat er mich das Buch damals auch angesprochen. Aber ich finde es, wie gesagt, sehr unterhaltsam gemacht, es ist sehr, sehr gut zu lesen.
52:11
Es ist eine wilde Mischung aus Wissenschaft, Popkultur, bietet viele, viele Denkanstöße, ist auch grundlegend kritisch.
52:17
Also er ist jetzt nicht so der, der sagt, ja, das war alles gut, das war alles so, das war alles so, sondern er ist schon sehr kritisch und kritisiert auch Entwicklungen.
52:26
Sein Ausblick ist meiner Ansicht nach ein bisschen zu optimistisch, aber vielleicht braucht es die auch.
52:32
Ja. Ja, vielen Dank dir.
52:38
Das war es, so was zu dem, was ich zu dem Buch so erzählen könnte, glaube ich.
52:42
Ja. Soll ich...zwei Bücher...mir sind zwei Bücher eingefallen, die ich im Anschluss...wo ich meine, das könnte eventuell passen.
52:53
Du hast ja zum einen auf die Entwicklung der Physik relativ stark angespielt und dann gesagt, okay, wichtig im zwanzigsten Jahrhundert wurde irgendwie zu verstehen, dass man Welt aus Beobachterperspektive wahrnimmt.
53:08
Ich lese momentan ein verhältnismäßig viel von Heinz von Förster, seines Zeichens Physikergelernte von Haus aus und ja, ziemlich radikaler Konstruktivist eben.
53:22
Haben wir hier auch angeschnitten und der...also Texte von ihm wurden zusammengetragen im 2001 Verlag in der Shortcuts-Reihe.
53:33
Da gibt es, glaube ich, sieben oder acht Bücher oder so und da gibt es eben auch eins von ihm.
53:38
Das ist leider nur noch gebraucht erhältlich, das Buch, aber ich verlinke es trotzdem mal.
53:42
Und noch ist, glaube ich, der Markt nicht komplett bereinigt, es sollten noch einige Exemplare da sein.
53:47
Das sind einfach sehr gut zusammengestellte Texte von einem sehr klugen Denker. Geht auch nicht um Physik, sondern eben viel um konstruktivistische Weltperspektive und Beobachtungen und so.
54:00
Das finde ich ziemlich gut.
54:01
Und das zweite Buch, was ich mir vorstellen könnte, was zum Thema Moderne einfach ganz gut passt und zum Thema Modernismus, ist Moderne und Ambivalenz von Sigmund Baumann.
54:12
Okay. - Einen der wichtigsten Soziologen des 20. Jahrhunderts, würde ich sagen.
54:17
Genau, polnischer Jude. Ist vor ein paar Jahren verstorben.
54:23
Sehr, sehr klug. Da geht es genau darum, dass er anhand von historischen Beispielen auch probiert zu zeigen, dass es ja quasi in der Späte oder Postmoderne keine Eindeutigkeit mehr gibt.
54:38
Also dass die Späte Moderne sich sehr dadurch auszeichnet, dass alle möglichen Sachen, die man tut, macht und entscheidet, ob politisch oder auch einfach in der Wissenschaft, immer auch negative Konsequenzen haben kann.
54:52
Also ja, genau. Die beiden werde ich verlegen.
54:56
Was mir als Buch jetzt noch einfiel, ist tatsächlich das Buch, was wir hier auch schon vorgestellt haben in der ersten Episode. Das ist wieder Resonanz von Hartmut Rosa, der viel diesen ganzen Individualismus und wie verhalte ich mich zu den Dingen um mich herum.
55:11
Was gibt mir Sinn und so weiter, der dieses ganze Thema ein bisschen anspricht, das im Grunde so ein bisschen auf die individuelle Ebene runterbricht, auch wenn er das jetzt nicht gern hören wird, wenn ich das sage.
55:21
Das passt da ganz gut zu und weil wir bei dem Physikthema waren, es gibt von, ach Gott, wie heißt er? Hans-Peter Fischer heißt er.
55:34
Gibt es eine sehr schöne, gibt es zwei Biografien von Werner Heisenberg, "Die zweite Wanderer zwischen den Welten". Da macht er auch nochmal sehr schön so diese Verbindung zwischen der physikalischen Erkenntnis, gerade der Quantenmechanik und diesem Stand des Menschen in der Welt sehr, sehr schön deutlich, weil er im Grunde aufzeigt, dass Werner Heisenbergs Physik ganz viele Anleihen bei der historischen Ideenhistorischen Romantik hat.
56:01
Das fand ich auch ein sehr, sehr spannendes Buch zu diesem Themenkomplex. Aber ich glaube, man kann hier so viele Bücher nennen, weil es einfach um so viele Themen im Detail ging, dass wir da jetzt vielleicht besser irgendwie aufhören, sonst explodieren unsere Leselisten.
56:16
Und wir haben die Episoden für die nächsten fünf Jahre fertig oder so.
56:24
Genau, ja, das war's dann so von uns für heute. Wir bringen immer noch den Aufruf mit an euch, wenn ihr Lust habt, hier mal ein Buch vorzustellen oder auch dauerhaft mitzumachen und regelmäßig vorzustellen und zuzuhören.
56:41
Meldet euch gerne bei uns, wir haben auf jeden Fall noch Plätze im Team frei. Sind da auch sehr auf unterschiedliche Perspektiven aus, das heißt, egal ob ihr Erfahrungen habt mit Podcasting oder nicht, aus welcher gesellschaftlichen Position ihr kommt, wie ihr euch geschlechtlich verortet usw. usf. Meldet euch, meldet euch, meldet euch, habt da keine Schäufe, wir freuen uns auf weitere Stimmen.
57:08
Genau, wenn ihr uns Feedback dalassen wollt, worüber wir uns sehr freuen, dann könnt ihr das auf unserer Webseite zwischen zwei Deckeln mit und ohne Bündesstrichen tun.
57:21
Ihr findet uns auf Twitter unter @deckeln und auch auf Instagram da auch unter @deckeln.
57:29
Und genau, lasst uns da gerne irgendwie zukommen, was ihr von den Folgen haltet, was wir besser machen können, was schon gut ist, wie wir es machen.
57:38
Und lasst uns gerne auch Sternchen Reviews usw. auf euren präferierten Podcast-Plattformen da.
57:45
Das hilft uns, damit wir ein bisschen sichtbarer werden und erzählt gern euren Freundinnen und Freunden und euren Familien von unserem Podcast, damit uns möglichst viele Menschen hören.
57:58
Ja, das war's dann für die dritte Episode von "Zwischen zwei Deckeln".
58:04
Uns bleibt im Grunde nur euch. Bis zum nächsten Mal, viel Spaß beim Lesen zu wünschen.
58:10
Bis dahin, tschüss!