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Über Ehrenamt und Kultur in Chemnitz„Ich bin hier noch nicht fertig“

Antonia Melzer ist ein Jahr als Freiwillige rund um die Aktionen der Europäischen Kulturhauptstadt dabei. Und was macht sie nun? Ein Resümee.

„Gerade das letzte Jahr hat doch gezeigt, wie viele Möglichkeiten wir haben“, sagt Antonia Melzer über ihre Heimatstadt Chemnitz Foto: Silas Bahr

Interview von

Karlotta Ehrenberg

Es ist kurz nach 17 Uhr und schon finster, als mich Antonia Melzer (20) am „Garagen-Campus“ abholt. Das ist einer der Kulturorte, die im Kontext der Europäischen Kulturhauptstadt 2025 in Chemnitz entstanden sind. Das Jahr unter dem Motto „C the Unseen“ geht in diesen Tagen vorbei und damit für die Stadt und auch Antonia Melzer ein wichtiges Kapitel zu Ende. Bei Eiseskälte laufen wir durch die Straßen von Chemnitz. Viel los ist an diesem Sonntagabend nicht.

taz: Frau Melzer, Sie sind eine der über 1.200 Chemnitzer Freiwilligen, die in diesem Jahr bei Veranstaltungen rund um die Kulturhauptstadt Europa 2025 geholfen haben.

Antonia Melzer: Ja, letztes Jahr im September hat das angefangen, da gab es für mich das erste Kennlerntreffen. Ich war gerade mit dem Abi fertig und ziemlich lost, wusste nicht, wohin mit mir und was werden soll. Und da kam mir das gerade recht. Über das Jahr habe ich rund 50 Einsätze gehabt und viele Menschen kennengelernt, die ich sonst nie getroffen hätte. Bei dem Volunteerprogramm haben ja vor allem ältere Menschen mitgemacht.

Im Interview: Antonia Melzer

Die Person

Antonia Melzer, Jahrgang 2005, ist in Chemnitz geboren und aufgewachsen. Zurzeit studiert sie Medienkommunikation an der Technischen Universität Chemnitz und arbeitet für den Basketballverein Niners Chemnitz.

Die Stadt und die Kultur

Nach dem Kulturhauptstadtjahr geht es weiter: Auch 2026 wird der Garagen-Campus Raum für Begegnung und Kultur in Chemnitz bieten. Das Programm findet sich unter garagen-campus.de/veranstaltungen. Eine Reise wert ist auch das 2025 neu eröffnete NSU-Dokumenta­tionszentrum „Offener Prozess“, dessen weitere Existenz zumindest bis Ende 2026 garantiert ist. Fes­ti­val­lieb­ha­be­r:in­nen sei das Hutfestival ans Herz gelegt, das Straßenkunstfest findet vom 29. bis 31. Mai 2026 statt – alle sind dazu aufgerufen, sich dort mit fantasievoller Kopfbedeckung zu zeigen.

Das alljährliche Kosmos-Festival bietet neben Musik und Kunst auch gesellschaftspolitische Events. Es ist für den 29. August 2026 geplant. 2026 kommt außerdem das große Festival Theater der Welt vom 18. Juni bis 5. Juli nach Chemnitz.

taz: Demografisch gesehen ist Chemnitz eine der ältesten Städte Deutschlands. Es gibt fast doppelt so viele Rent­ne­r:in­nen wie Kinder und Jugendliche unter 18.

Melzer: Ja, bis auf meine Omas hatte ich bisher aber kaum Kontakt zu Älteren. Erst dachte ich auch: Schade, dass hier so wenig junge Leute mitmachen. Aber dann habe ich mich mit denen total gut verstanden. Unter den Volunteers kamen Leute aus allen Schichten zusammen, da waren Lehrerinnen und Krankenschwestern dabei, ich hab auch mit einem Matheprofessor von der TU gearbeitet. Die haben alle verschiedene Erfahrungen mitgebracht, der gegenseitige Austausch war so bereichernd für mich. Die haben mich auch gar nicht verurteilt, dass ich nicht weiß, was ich mal machen will, sondern gesagt: „Nimm dir Zeit und find’s raus. Wir haben dieses Jahr doch alle Möglichkeiten.“

taz: Hat das Jahr der Kulturhauptstadt die Menschen in dieser Stadt also zusammengebracht?

Melzer: Ja, auf jeden Fall. Ich erinnere mich noch gut an die Eröffnungsveranstaltung am 18. Januar, da habe ich bei einer der Hauptbühnen im Backstagebereich gearbeitet. Das hat es in Chemnitz vorher noch nie gegeben, dass die Stadt so rappelvoll war und eine so riesengroße bunte Menge gemeinsam gefeiert hat. Viele Leute kamen auch von außerhalb. Das kannten wir hier vorher nicht.

taz: Das Geräusch von Rollkoffern gehört nun also auch zum Chemnitzer Stadtalltag dazu?

Melzer: Ja, und Leute, die Englisch sprechen! Menschen mit Stadtplänen, die sich umschauen, Fotos vom Karl-Marx-Monument machen, vorm Opernhaus stehen und Fahrpläne lesen. Dass die alle hierherkommen und sich für uns interessieren, hat mich total gefreut. Und auch ein bisschen stolz gemacht. Als Volunteers repräsentieren wir die Stadt ja auch, wir hatten offizielle Kleidung an. Ich hab gemerkt: Dass man aus Chemnitz kommt, ist jetzt mehr was Positives und nichts mehr, was man verstecken muss.

taz: Wieso, haben Sie Ihre Herkunft bisher verschwiegen?

Melzer: Ja, manchmal, weil ich wusste, dass das oft zu negativen Reaktionen führt. Einmal war ich zum Beispiel mit meiner besten Freundin im Zug nach Dresden. Wir saßen zwei älteren Damen gegenüber und sind mit denen ins Gespräch gekommen. Als wir gesagt haben, woher wir kommen, kam da direkt ein abfälliger Blick: „Uff, okay, aus Chemnitz, aha!“

taz: Und damit war das Gespräch vorbei?

Melzer: Von denen aus, ja. Ich hab das aber nicht so stehen lassen. Zu einem wirklichen Austausch ist es aber nicht gekommen.

Endlich kommen wir in Antonia Melzers Stammlokal an, „Emmas Onkel“ in Chemnitz Szenebezirk Kaßberg, eins der größten Gründerzeit- und Jugendstilviertel Deutschlands. Wohlige Wärme schlägt uns entgegen, die Brillengläser beschlagen, so groß ist der Temperaturunterschied. Als wir Platz nehmen, zückt Antonia Melzer sogleich ihr Smartphone.

Melzer: Sorry, unsere Basketballer, die Niners Chemnitz, spielen heute. Das Spiel hat gerade angefangen, Bundesliga, gegen Alba Berlin.

taz: Spielen Sie auch Basketball?

Melzer: Nein, aber ich jobbe beim Basketballverein. Vor zwei Jahren fing das an, dass ich mit meinen Freunden regelmäßig zu den Heimspielen gegangen bin, das war jedes Mal eine Riesenparty. Meine Freunde und ich saßen da mit Familien und Rentnern im Zuschauerring. Da kommen auch ganz unterschiedliche Nationen zusammen, ein richtiges Gemeinschaftserlebnis ist das. Ganz anders als beim Fußball, der in Chemnitz leider nicht so weltoffen, bunt und inklusiv ist, sondern eher in die rechte Ecke geht. Die Niners sind auch sehr erfolgreich, 2020 sind sie in die Bundesliga aufgestiegen und haben letztes Jahr den Fiba-Europe-Cup gewonnen.

taz: Ich höre Stolz heraus.

Melzer: Ja, das ist eine große Sache für Chemnitz.

taz: Im Gegensatz zu vielen anderen Chem­nit­ze­r:in­nen sächseln Sie gar nicht. Kommt Ihre Familie nicht von hier?

Melzer: Doch, beide Großeltern sind von hier. Als meine Eltern geboren sind, hieß das hier allerdings Karl-Marx-Stadt. Sie sprechen aber kein derbes Sächsisch. Auch in meinem Freundeskreis sprechen wir eher Hochdeutsch. Vielleicht ist das auch ein bisschen dieses unterbewusste Verstecken, also dass man denkt, man muss da drauf achten, weil man sonst gleich abgestempelt wird.

taz: Wie von den Frauen aus dem Zug?

Melzer: Ja. Nach den Vorfällen von 2018 war Chemnitz nur noch die graue Stadt in Sachsen, aus der Menschen vertrieben werden.

taz: Im August 2018 haben Fake News zu rechtsextremen Ausschreitungen geführt. Es kam zur „Jagd“ auf Migranten, Übergriffen auf Pres­se­ver­tre­te­r:in­nen sowie dem Angriff auf ein jüdisches Restaurant. Wie alt waren Sie damals?

Melzer: Dreizehn. Ich kann mich daran erinnern, dass die Stadt wie im Ausnahmezustand war und wir wie in einem Fiebertraum, die Zeit ist irgendwie nicht vergangen. Wir wussten nicht, wohin mit uns. Durch die Stadt zu gehen, haben wir uns nicht so richtig getraut. Kraftklub (eine Band aus Chemnitz; d. Red.) hat zu einer Gegendemo aufgerufen, ich war auch dabei. Wir waren 65.000 Leute, die Toten Hosen sind auch aufgetreten. Daraus ist dann das Kosmos-Festival entstanden, das es bis heute gibt. Eigentlich kann man also sagen, dass aus etwas total Negativem etwas Positives entstanden ist.

taz: Was in dem Rest der Republik aber kaum wahrgenommen wurde?

Melzer: Genau. Deswegen habe ich mich auch so gefreut, als Chemnitz zur Kulturhauptstadt ernannt wurde. Das weiß ich noch gut, da saß ich mit meinem Papa nach einer Wanderung im Erzgebirge in einem Landgasthof, wir waren die einzigen Gäste und haben was gegessen, im Hintergrund lief leise das Radio. Ja, und dann kam die Nachricht. Wir haben uns beide so gefreut, denn wir wussten, das wird was ganz Großes für unsere Stadt.

taz: Ein solch großes Kulturevent führt dazu, dass viel Geld in die städtische Infrastruktur fließt. Haben Sie Veränderungen in und an Chemnitz wahrgenommen?

Melzer: Auf jeden Fall. Jedes Mal, wenn ich durch die Innenstadt gegangen bin, hab ich was gesehen, was da vorher noch nicht war. Das waren auch ganz kleine Dinge. Gegenüber dem Roten Turm (Wahrzeichen der Stadt Chemnitz und deren ältestes erhaltenes Bauwerk; d. Red.) haben sie zum Beispiel zwei Fassaden bunt angestrichen. Das hat mich total gefreut.

taz: Das Konzept sah vor, dass auch die Bür­ge­r:in­nen mit einbezogen werden, es gab künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum, viele mit Möglichkeit zur Partizipation. Ist das aufgegangen, haben sich die Chem­nit­ze­r:in­nen beteiligt?

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Melzer: Ja, vor allem bei den Aktionen der „Gelebten Nachbarschaft“, da haben wir unter anderem Apfelbäume gepflanzt. Oder bei dem „3.000-Garagen-Projekt“. Ich habe zum Beispiel bei einer Kunstaktion mitgeholfen, bei der immer ein Grüppchen von zehn Leuten einzeln in eine verschlossene Garage geführt wurde. Dort stand dann „das Fischelant“ – ein Mischwesen aus Auto und Goldesel. Ja, und in den konnten die Leute dann eine Schaufel Pferdemist reinschütten. Dann hat es gerumpelt und dann kam mit Glück hinten ein bisschen „Gold“ raus. Mein Job war es, das „Gold“ dann zu wiegen.

taz: „Fischelant“ ist sächsisch und bedeutet „schlau“ oder „geschickt“. Dieses Werk der Künstlerin Cosima Terrasse basiert auf Interviews mit Chemnitzer Garagennutzer:innen. „Aus Scheiße Gold machen“ war im Osten eine gängige Umschreibung für den großen Erfindungsgeist, der wegen des Ressourcenmangels in der DDR auch notwendig war.

Melzer: Schon vorher gab es hier sehr viel Innovation. Zur Zeit der Industrialisierung war Chemnitz die reichste Stadt Deutschlands. Die Stadt wurde damals das sächsische Manchester genannt.

taz: Ja, und ehrlich gesagt wusste ich das bis zu meinem heutigen Besuch im Industriemuseum gar nicht. Überhaupt hatte ich gar keine Ahnung von dieser Stadt.

Melzer: Das haben viele Gäste gesagt!

taz: Was bestätigt, dass das Motto der Kulturhauptstadt „C the Unseen“ wirklich passend gewählt ist. Gesehen wurden dieses Jahr nicht nur unbekannte Orte und Aspekte der Stadt, auch ihre Be­woh­ne­r:in­nen rückten ins Licht. Die Fotografin Maria Sturm etwa hat Dutzende Ga­ra­gen­nut­ze­r:in­nen porträtiert.

Melzer: Es gab außerdem ein großes Street-Art-Event am Nischel (das sächsische Wort für Kopf, damit ist der Karl-Marx-Monument gemeint; d. Red.), da wurden Menschen aus der Stadt porträtiert. Wir haben die Porträts an den Sockel des Nischels und auf dem ganzen Vorplatz aufgehängt. Um den Marx-Kopf waren also ganz viele andere Köpfe.

taz: Was sicher auch gezeigt hat, wie vielfältig diese Stadt ist.

Melzer: Genau darum ging es. Die Leute sollten sich fotografieren lassen, um im Sinne der demokratischen Vielfalt ein Zeichen zu setzen. Zwei bis drei Tage ging das, die Leute haben Schlange gestanden, alle wollten mit drauf. Zum Schluss war alles zutapeziert mit Gesichtern.

taz: Sagt Ihnen die „Dritte Generation Ost“ eigentlich etwas?

Melzer: Nein.

taz: Das ist ein Verein von der jüngsten noch in der DDR geborenen Generation, der unter anderem der Frage nachgeht, inwieweit die ostdeutsche Herkunft prägend ist – auch im positiven Sinne.

Melzer: Das finde ich eine spannende Frage, weil, klar, Chemnitz ist eine ostdeutsche Stadt und hat diese Vergangenheit. Aber ich würde sagen, das betrifft meine Generation nicht mehr so. Mit diesem „Die aus dem Westen sind so und die aus dem Osten so“ konnte ich noch nie groß was anfangen. Das sind eher meine Eltern und Großeltern, die noch in diesen Mustern denken. Ich aber stamme halt nicht aus dieser Zeit.

taz: Der Zeit der deutschen Trennung und nach der Wiedervereinigung?

Melzer: Ja. In meinem jetzigen Alltag betrifft mich das alles nicht. Es ist auch nicht so, dass ich mit meinen Eltern beim Abendbrottisch über die DDR oder die Wende spreche. Klar, wenn wir auf das Thema kommen, dann erzählen sie mir davon. Meine Eltern waren froh über den Mauerfall, sie haben sich sofort in den Trabi gesetzt und sind nach Westberlin gefahren.

taz: Und dass es eine strukturelle Diskriminierung gegen Ostdeutsche gibt, weil sie etwa in Führungspositionen unterrepräsentiert sind, ist für Sie auch kein Thema?

Melzer: Doch, das schon. Auch wenn ich viel von dem Genörgel nicht nachvollziehen kann, das ist auf jeden Fall ein Punkt, den viele ältere Menschen mit dem Westen haben, der nicht zu leugnen ist. Dieser Frust über den geringeren Verdienst, die fehlende Repräsentation in den Parlamenten und Vorständen, das kann ich verstehen, auch wenn mich das in meiner bisherigen Laufbahn nicht groß tangiert hat. Es ist aber gut möglich, dass mich das treffen wird, wenn es später mal um Gehälter und berufliche Positionen geht.

taz: Jetzt ist das Kulturhauptstadtjahr vorbei. Zieht es Sie nun aus Chemnitz weg?

Melzer: Nein. Ich hab das Gefühl, ich bin hier noch nicht fertig, und hab mich deswegen bewusst dazu entschlossen, erst mal zu bleiben. Seit Oktober studiere ich Medienkommunikation, hier an der TU.

taz: Ein Song von Kraftklub heißt: „Ich will nicht nach Berlin“ …

Melzer: Das trifft auch auf mich und meine Freunde auf jeden Fall zu (lacht). Also wir waren ein paar Mal auf Klassenfahrt in Berlin, und die paar Tage haben uns immer gereicht. Vieles würde mir auch einfach fehlen. Ins Grüne zu gehen, ist mir zum Beispiel sehr wichtig, ich gehe viel wandern. Von Chemnitz aus ist man ganz schnell im Erzgebirge und in anderen Wandergebieten.

taz: Angesichts der demografischen Zahlen ist Ihre Entscheidung jedoch ungewöhnlich. Wie reagiert Ihr Umfeld darauf?

Melzer: In meinem Freundeskreis ist das kein großes Thema, es bleiben auch andere hier. Es sind eher Freunde meiner Eltern, die darüber überrascht sind: „Wie, du bleibst hier? Mein Sohn, der wollte ja direkt weg!“ Ein wenig hab ich das Gefühl, dass ich mich dafür rechtfertigen muss, dass ich in meiner Stadt bleiben möchte und nicht wie viele andere jungen Leute in die nächstgrößere Stadt ziehe, um da meine Projekte zu machen. Dabei ist das doch Quatsch. Gerade das letzte Jahr hat doch gezeigt, wie viele Möglichkeiten wir haben. Hier ist so viel Raum für Neues.

taz: Im Gegensatz zu den anderen deutschen Großstädten, in denen Kulturräume zunehmend verschwinden.

Melzer: Ja, genau. In Chemnitz gibt es noch so viele ungenutzte Flächen. Das ist doch toll. Ja, überhaupt wünsche ich mir, dass das Leben hier mehr wertgeschätzt wird und die Leute einfach mal zufriedener sind mit dem, was sie hier und aneinander haben. Das letzte Jahr hat doch gezeigt: Wir können so viel gemeinsam schaffen. Viele von uns Volunteers wollen weitermachen.

taz: Gibt es schon Konkretes in Planung?

Melzer: Nein. Aber auf der Abschlussveranstaltung haben wir E-Mail-Adressen ausgetauscht, wir bleiben in Kontakt.

taz: Mit Blick auf das Wahlergebnis – die AfD hat bei der letzten Bundestagswahl über 32 Prozent der Chemnitzer Stimmen bekommen – ist jedoch zu befürchten, dass die öffentliche Kulturförderung zurückgehen wird.

Melzer: Ja, das macht mir auch Angst.

taz: Gegenwind kommt auch aus der Bevölkerung, zum Auftakt des Kulturhauptstadtjahrs gab es sogar eine Gegendemo.

Melzer: Ja, auch die Montagsdemos sind hier immer noch präsent. Im Oktober hatten wir an einem Montag eine Stadtführung für die Erstsemester und waren abends auf Kneipentour. Wir sind durch die Stadt gelaufen und überall war Blaulicht, dann kamen so ein paar Leute mit ihren Trommeln und Fähnchen. „Mensch, was ist denn hier los?“, fragten einige. Das musste ich dann erklären.

taz: War Ihnen das unangenehm?

Melzer: Na ja, die meisten meiner Kommilitonen kommen aus Ostdeutschland. So blöd es klingt, aber dort kennt man das ja. Es ist nicht schön, aber es gehört irgendwie dazu.

taz: Haben Sie mal darüber nachgedacht, sich politisch zu engagieren?

Melzer: Bisher nicht. Da hab ich einfach noch nicht die akute Notwendigkeit gesehen und wahrscheinlich auch nicht genug Mut gehabt. Aber für die Zukunft würde ich nicht ausschließen, Mitglied in einer Partei oder so zu werden. Ich will diese Stadt so, wie sie jetzt über das Jahr geformt wurde, erhalten. Und ich glaube, wir als junge Generation sind jetzt auch in der Pflicht, da anzuknüpfen und das fortzuführen. Denn wenn das jetzt alles wieder einschläft, wofür war es dann gut?

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