Die Reform des europäischen Asylsystem GEAS muss ins nationale Recht übersetzt werden und wird wohl ab 2026 für Asyl-Verschärfungen sorgen. Währenddessen zeigt sich Bundesinnenminister Alexander Dobrindt mit den aktuellen Entwicklungen zufrieden.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Rebecca Sawicki sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Alexander Dobrindt (CSU) ist stolz: Mit ihm an der Spitze des Bundesinnenministeriums legt Deutschland die Migrationswende hin. Davon ist er überzeugt.

Dass die Zahlen im August fast 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken sind – wenn es nach ihm geht, ebenfalls ein Verdienst des neuen Sicherheitschefs aus dem Freistaat. Die Rückweisungen an den deutschen Außengrenzen seien "hochwirksam" – und sie zeigten Erfolg, mit Blick auf die rückläufigen Asylanträge in den vergangenen Monaten.

Tatsächlich: Die Zahl der Asylanträge geht weiter zurück. Ein Trend, der sich allerdings bereits im Jahr 2024 abzeichnete. Welchen Effekt hat also die sogenannte Asylwende?

Ein Blick in die Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zeigt: Die Hauptantragssteller für Erstanträge im Jahr 2025 waren – wie in den Vorjahren – Syrer. Gefolgt von Menschen aus Afghanistan, der Türkei und Irak. Im Jahr 2025 wurden bis August 78.246 Erstanträge vom Bundesamt entgegengenommen. Die Anzahl der unerlaubten Einreisen über den Land-, Luft- oder Seeweg bis August: 42.452, laut Erhebungen der Bundespolizei.

Migrationsforscher zweifelt an Rückgang durch verstärkte Kontrollen

Seit Einführung der strengen Grenzkontrollen an allen Außengrenzen durch Innenminister Dobrindt seien 17.417 Einreisen dokumentiert worden – 12.885 Menschen seien direkt an der Grenze zurückgeschoben worden.

Dass der Rückgang der sogenannten irregulären Migration mit den Maßnahmen des neuen Innenministers zu tun haben, daran zweifelt Franck Düvell. Er forscht am Institut für Migrationsforschung an der Universität Osnabrück. Düvell sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Die Zahlen gehen vor allem zurück, weil sich die äußeren Faktoren verändern." Sprich: Das Land, aus dem in den vergangenen Jahren die meisten Menschen nach Deutschland gekommen sind, ist Syrien. Durch den dortigen Sturz des Assad-Regimes habe sich die Lage allerdings stabilisiert.

Den Rückgang verdeutlichen auch die Zahlen der Bundeszentrale für politische Bildung: Waren es 2024 76.765 Schutzsuchende aus Syrien, die einen Asylantrag stellten, waren es bis August 2025 noch 17.650.

15 Prozent der Schutzsuchenden Anfang 2025 haben ein Visum

Dazu kommt, dass einige Geflüchtete nicht über beschwerliche und lebensgefährliche Routen nach Europa kommen – sondern mit Visa. Die "Welt" berichtet von 5.526 Asylsuchenden, die im ersten Quartal 2025 erstmals einen Antrag stellten und mit Visum nach Deutschland gekommen seien. Das ergebe einen Anteil von 15 Prozent aller Antragssteller in diesem Zeitraum. Die Zeitung bezieht sich dabei auf die Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion.

Auch Düvell nennt diese Form der Einreise. Sie sei weniger auffällig, weniger medial diskutiert und auch schlechter nachweisbar. Denn es gebe auch hier nicht nur jene, die direkt am Flughafen einen Asylantrag stellen – sondern auch Menschen mit einem Au-pair- oder Studierendenvisum, die aufgrund aktueller Entwicklungen in ihrem Heimatland nicht mehr dorthin zurückkönnen. Andere kämen legal aus visafreien Staaten, wie Kolumbien oder Venezuela.

Was laut des Migrationsforschers wenig Einfluss habe: Abschreckungsmaßnahmen. Menschen auf der Flucht würden Entscheidungen anders treffen. "Sie stellen sich die Frage, wie die Verhältnisse im Herkunftsland und in den Ländern außerhalb der EU sind. Ob sie in Europa schon jemanden kennen – also eine Art Migrationsnetzwerk haben. Beispielsweise Verwandte", sagt der Migrationsforscher. Hinzukomme, dass die Flucht teuer sei. Die Mehrheit habe nicht das Geld, von der Türkei weiterzuziehen. Düvell bezieht sich dabei auf eine Umfrage, die er im Rahmen seiner Forschung in der Türkei durchgeführt habe.

EU setzt weiter auf Abschreckung – GEAS soll Einheitlichkeit herstellen

Und doch: Die EU-Mitgliedsstaaten setzen auf Abschreckung. Aktuell steht einmal mehr Griechenland in der Kritik, etwa von Seiten der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, Schutzsuchenden ihr Recht auf die Stellung eines Asylantrags zu verwehren. Schon in der Vergangenheit wurden immer wieder unlautere Praktiken an den Außengrenzen kritisiert, etwa mutmaßliche Pushbacks (also Rückschiebe-Aktionen) der Grenzschutzagentur Frontex. Migrationsforscher Düvell kritisiert zudem die Zustände, unter denen Schutzsuchende auf der griechischen Insel Kreta untergebracht werden.

Um das Europäische Asylsystem besser zu regeln – und künftige Alleingänge, wie etwa die verschärften Maßnahmen in Griechenland oder auch die Binnengrenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen – soll 2026 die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) in Kraft treten. Die Eckpunkte:

  • Das Asylverfahren soll an die europäischen Außengrenzen verlagert werden – in die EU soll künftig nur kommen, wessen Asylgesuch anerkannt wurde.
  • Die Verfahren sollen in diesem Zuge beschleunigt werden.
  • Die Idee eines europäischen Verteilsystems soll erhalten bleiben.
  • Mittels einer Datenbank sollen einreisende Personen besser identifiziert werden können.

Die gemeinsame Entscheidung für diese Reform wurde auf Ebene der europäischen Innenminister und Regierungen schon 2023 getroffen. 2024 entschied auch das Europäische Parlament darüber. Nun geht es darum, die Pläne in nationale Gesetze zu überführen.

Deutschland will auf sogenannte Sekundärmigrationszentren setzen

Was das für Deutschland bedeuten soll, hat die Bundesregierung Anfang September bekannt gegeben. Da die Bundesrepublik nicht über EU-Außengrenzen – außer zur Schweiz – verfügt, spielen die Zentren zur Abwicklung des Asylverfahrens keine vorrangige Rolle.

Trotzdem soll es den Bundesländern nach den Plänen der Regierung künftig möglich sein, sogenannte Sekundärmigrationszentren aufzubauen. Dort sollen Menschen, die bereits in einem anderen Staat Schutz erhalten haben, zentral untergebracht werden und nach Abschluss des Verfahrens in das zuständige EU-Land zurückgebracht werden.

Auch die Möglichkeit der Durchführung von Asylverfahren an Flughäfen soll weiter ausgebaut werden. Innenminister Dobrindt hat allerdings bereits angekündigt, in Sachen GEAS noch einmal auf europäischer Ebene nachschärfen zu wollen.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Sozialrechts-Professor fordert "pragmatischen Ansatz"

Ein Plan, den Constantin Hruschka, Professor für Sozialrecht an der Evangelischen Hochschule Freiburg, kritisch sieht. Im Gespräch mit unserer Redaktion wirbt Hruschka dafür, die Reform, auf die sich geeinigt wurde, anlaufen zu lassen. Erst dann könne man sehen, ob und wo nachjustiert werden müsse. So könnten sich die Staaten, die Bevölkerung und auch die Schutzsuchenden auf die gemeinsamen Standards einstellen – wüssten, worauf sie sich einließen.

Generell, meint Hruschka, könne die GEAS-Reform allerdings dazu führen, dass sich das europäische Asylsystem wieder zu einem reinen System der Einzelstaaten entwickeln wird. Dass die Staaten mit EU-Außengrenzen dann dafür sorgen müssten, dass sich die Schutzsuchenden nicht weiterbewegen, laufe zudem der Idee des Schengenraums zuwider. "Im Migrationsbereich fehlt mir an vielen Stellen der pragmatische Ansatz", sagt der Sozialrechts-Professor.

Empfehlungen der Redaktion

"Es muss letztlich darum gehen, herauszufinden, ob eine Person Schutz braucht oder nicht", fasst Hruschka zusammen. Ein System, das diese Frage in den Mittelpunkt stellt, müsste aus seiner Sicht diese Verfahren dann dort abhalten, wo es entsprechende Strukturen gibt. Hruschka nennt in diesem Zusammenhang Schweden, Österreich, Frankreich oder Deutschland. Diese Staaten müssten dann entsprechend die finanzielle Unterstützung bekommen, um diese Verfahren durchzuführen.

Bis die GEAS-Reform tatsächlich zeigen kann, wie und ob sie wirkt, dauert es noch eine Weile. Auch, ob dadurch unlautere Praktiken an den EU-Außengrenzen tatsächlich enden.

Verwendete Quellen

  • Gespräch mit Franck Düvell
  • Gespräch mit Constantin Hruschka
  • bamf.de: "Asylzahlen im August 2025"
  • bpb.de: "Asylanträge in Deutschland"
  • bamf.de: Aktuelle Zahlen (08/2025)
  • bundespolizei.de: Unerlaubte Einreisen an allen Land-, Luft- und Seegrenzen (Stand: 31. August 2025)
  • Pressemitteilung der Bundespolizei "Unerlaubte Einreisen an allen Land-, Luft- und Seegrenzen" (September 2025)
  • bpb.de: "Demografie von Asylsuchenden in Deutschland"
  • proasyl.de: "Rechtsbruch statt Schutz: Griechenland nutzt veränderte Fluchtroute, um Asylrecht auszusetzen"
  • welt.de: "So viele Asylbewerber reisen zunächst mit Visum nach Deutschland ein"
  • bpb.de: "Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems"
  • bundesregierung.de: "Gemeinsame europäische Lösungen in der Migrationspolitik"