Leistungskürzungen, längere Einreiseverbote und neue Pflichten: Die EU-Staaten wollen mehr Abschiebungen - und dafür den Druck auf die Betroffenen erhöhen.

Die EU-Staaten wollen den Druck auf abgelehnte Asylbewerber erhöhen und Abschiebungen effizienter abwickeln. Nach den neuen Regeln sollen künftig Asylsuchende direkt an den EU-Außengrenzen zurückgewiesen werden können, wenn ihr Antrag keine Aussicht auf Erfolg verspricht.

Zudem sollen Menschen ohne Bleiberecht neue Pflichten erhalten und bei mangelnder Kooperation mit Leistungskürzungen rechnen müssen. Das teilten die Mitgliedsländer nach einer Einigung bei einem Treffen der europäischen Innenminister in Brüssel mit.

Abgelehnten Asylbewerbern drohen im schlimmsten Fall Haftstrafen

Mit Hilfe zusätzlicher Druckmittel sollen Abschiebungen nach der Vorstellung der EU-Staaten zukünftig schneller gehen. (Symbolbild) © picture alliance/dpa/Patrick Pleul

Abgelehnte Asylbewerber sollen dem Vorhaben nach etwa verpflichtet werden, aktiv an ihrer Rückführung mitzuwirken. Sollten sie etwa nicht unverzüglich nach einer Aufforderung Dokumente zu ihrer Identifikation vorlegen, müssen sie mit Strafen rechnen. Zudem sollen sie für die Behörden erreichbar bleiben. Bei einer Verweigerung der Zusammenarbeit drohen Konsequenzen - etwa die Kürzung von Leistungen oder ein längeres Einreiseverbot. Auch Haftstrafen sollen der Vorstellung der EU-Staaten nach in manchen Fällen möglich sein.

Außerdem sollen strengere Regeln für Personen gelten, die als Sicherheitsrisiko eingestuft werden. So sollen etwa die Gründe für eine Inhaftierung erweitert und mögliche Haftzeiten verlängert werden.

Auch Rückführungszentren in Drittstaaten außerhalb der EU sollen demnach durch die Verordnung möglich sein. In diesen sogenannten Return Hubs sollen ausreisepflichtige Asylbewerber landen, die nicht in ihre Heimat- oder Herkunftsländer abgeschoben werden können. So gibt es etwa eine niederländische Initiative für ein solches Zentrum in Uganda, an dem auch Deutschland sich beteiligen könnte. Kritiker zweifeln allerdings daran, dass solche Zentren mit europäischem Recht vereinbar sind.

Sichere Drittstaaten

Bei der Auslagerung von Asylverfahren spielt das Konzept der sicheren Drittstaaten eine entscheidende Rolle. Es soll das europäische Asylsystem entlasten, indem Menschen in Nicht-EU-Länder abgeschoben werden, um dort ihr Asylverfahren abzuwarten. Die Festlegung würde auch die Einrichtung von sogenannten Rückführungszentren in Drittstaaten erleichtern.

Bislang war es nötig, dass Asylsuchende eine enge Verbindung zu einem solchen Drittstaat haben, etwa durch Familienangehörige oder einen längeren Aufenthalt. Dem Vorschlag der EU-Staaten nach könnte es zukünftig schon reichen, wenn ein Abkommen zwischen einem Mitgliedstaat und dem Drittstaat besteht. Schutzsuchende können demnach auch in Länder abgeschoben werden, in denen sie noch nie waren und zu denen sie keine familiäre, kulturelle oder sonstige Bindung haben. Ausgenommen davon sind unbegleitete Minderjährige.

Auch zu diesem Vorhaben muss das EU-Parlament sich noch abschließend positionieren, bevor Verhandlungen darüber beginnen können.

Sichere Herkunftsländer

Abschiebungen in die nordafrikanischen Länder Marokko, Tunesien und Ägypten sollen nach dem Willen der EU-Länder schneller gehen. Dafür sollen die Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Das Kosovo, Kolumbien sowie die südasiatischen Staaten Indien und Bangladesch sollen demnach ebenfalls zur Liste hinzugefügt werden. Auch hier steht die Positionierung des EU-Parlaments noch aus.

Grundsätzlich sollen auch Länder, die Kandidaten für einen EU-Beitritt sind, als sicher gelten. Dazu würden dann etwa Albanien, Montenegro oder die Türkei gehören. Die EU-Liste wäre bindend für alle Mitgliedstaaten. Gleichzeitig muss dem Vorschlag nach auch weiterhin immer der Einzelfall geprüft werden. Menschen, die aus diesen Ländern kommen und in der EU Schutz suchen, sollen also nicht automatisch abgeschoben werden, bekommen aber ein beschleunigtes Asylverfahren.

EU-Staaten einigen sich auf Verteilung von Asylbewerbern

Bei der Verteilung von Asylbewerbern und den Beiträgen zum sogenannten Solidaritätspool haben sich die EU-Länder ebenfalls geeinigt. Innerhalb der Europäischen Union sollen 21.000 Schutzsuchende umgesiedelt werden, um besonders unter Druck stehende EU-Staaten zu entlasten, wie die EU-Innenminister bei einem Treffen in Brüssel festlegten.

Zudem sollen weniger belastete EU-Länder im Rahmen des Solidaritätsmechanismus, der mit der europäischen Asylreform 2024 beschlossen wurde, 420 Millionen Euro bereitstellen. Eigentlich ist in der Asylreform die Umsiedlung von mindestens 30.000 Asylbewerbern und die Bereitstellung von 600 Millionen Euro pro Jahr vorgesehen. Da die europäische Asylreform aber erst ab Juli 2026 in Kraft tritt, einigten sich die EU-Länder auf insgesamt geringere Beiträge.

Deutschlands Beitrag noch unklar

Welche Beiträge Deutschland oder andere Länder gemäß Einigung nun konkret leisten müssen, blieb zunächst unklar. Die Bundesrepublik kann sich nach einer Analyse von EU-Innenkommissar Magnus Brunner aber darauf berufen, dass sie sich bereits um sehr viele Asylbewerber kümmert, für die eigentlich andere EU-Staaten zuständig wären.

Auch andere Solidaritätsbeiträge wie Geld- oder Sachleistungen wären demnach von deutscher Seite nicht notwendig. Diese können theoretisch von unterstützungspflichtigen EU-Staaten geleistet werden, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen.

Als Länder, die im kommenden Jahr wegen eines hohen Migrationsdrucks Anrecht auf Solidarität anderer EU-Staaten haben, stuft die EU-Kommission in ihrer Analyse Griechenland und Zypern sowie Spanien und Italien ein. Zu den EU-Staaten, die nach den neuen Regeln wahrscheinlich Migranten aus anderen Ländern aufnehmen oder andere Solidaritätsbeiträge leisten müssen, zählen Länder wie Schweden, Portugal, Ungarn, Rumänien und Luxemburg.

Kompromiss in entscheidendem Streitpunkt gefunden

Ein wichtiger und zuletzt unter den Mitgliedstaaten umstrittener Punkt ist auch die gegenseitige Anerkennung von Rückkehrentscheidungen. Das bedeutet, dass Abschiebebescheide, die in einem EU-Land erlassen wurden, auch in anderen Mitgliedstaaten automatisch gelten sollen. So könnte eine Person, die in einem Land zur Rückkehr verpflichtet wurde, nicht einfach in ein anderes EU-Land weiterreisen, um das Verfahren zu umgehen.

Deutschland und andere Länder wollten die Anerkennung der Entscheidungen anderer EU-Staaten nicht verpflichtend machen. Sie befürchteten mehr Bürokratie durch mögliche Klagen und rechtliche Unsicherheiten. Die nun gefundene Einigung sieht zunächst eine gegenseitige Anerkennung auf freiwilliger Basis vor - allerdings mit der Option, zu einem späteren Zeitpunkt eine Anerkennungspflicht einzuführen.

Das Europäische Parlament muss sich zu den von der EU-Kommission im März gemachten Vorschlägen noch positionieren. Anschließend können Verhandlungen über die Verordnung beginnen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament werden keine größeren Änderungen erwartet.

Zuletzt weniger Asylanträge - Deutschland nicht mehr auf Platz eins

Im ersten Halbjahr gingen nach Angaben der EU-Asylagentur bei den deutschen Behörden 70.000 Anträge von Neuankömmlingen ein. Damit liegt die Bundesrepublik innerhalb der EU auf Platz drei hinter Frankreich (78.000) und Spanien (77.000).

Die Zahl der neuen Asylbewerber innerhalb der gesamten Europäischen Union sowie in den Nicht-Mitgliedsländern Norwegen und Schweiz ging im ersten Halbjahr dieses Jahres insgesamt zurück.

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Bis Ende Juni wurden in der Staatengruppe aus 29 Ländern (EU+) insgesamt 399.000 neue Anträge registriert - im Vergleich zum ersten Halbjahr 2024 ein Rückgang von 114.000 beziehungsweise 23 Prozent. Der Rückgang wird von der Agentur insbesondere darauf zurückgeführt, dass nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad nicht mehr so viele Menschen aus Syrien flüchten. (dpa/bearbeitet von fte)

Teaserbild: © picture alliance/dpa/Patrick Pleul