VW Kompakt-SUV Vom Country zum Tiguan
Diesmal kann wohl nichts mehr schief gehen. Seit Wochen bereitete VW die Markteinführung des neuen Tiguan vor, an dem seit Jahren konstruiert und designt wird. Heute nun werden die ersten offiziellen Fotos des Autos veröffentlicht, auf der IAA in Frankfurt (13. bis 23. September) wird das Auto Weltpremiere feiern und ab Oktober bei den Händlern stehen. Der Markt der kompakten Allradautos brummt, das Risiko, dass der Tiguan floppt, ist praktisch ausgeschlossen.
Trotzdem hat der Wagen ein Problem: Er kommt reichlich spät auf den florierenden Markt der weichgespülten Geländefahrzeuge, die von jüngeren Menschen (wegen des Abenteuer-Looks) ebenso wie von älteren Herrschaften (wegen der hohen Sitzposition) geschätzt werden, von Männern (wegen des "Wilder-Kerl"-Image) ebenso wie von Frauen (wegen des Gefühls der Geborgenheit).
Mit anderen Worten: VW hat, weil die Marke bislang auf diesem Markt nichts zu bieten hatte, reichlich Geld verschenkt. Der neue Tiguan soll das nun wieder reinholen. Warum Volkwagen meist als Letzter reagiert, wenn irgendwo ein neues Pkw-Segement entsteht, dürfte zahlreiche Gründe haben. In diesem Fall jedoch waren die Wolfsburger vorbelastet. Denn eigentlich waren sie die Ersten, die die Idee zu einem geländegängigen Kompaktautos hatten - mit der aber exquisit baden gingen. Und dann wollten sie offenbar knapp 20 Jahre nichts mehr davon wissen.
Denn schon auf dem Genfer Autosalon des Jahres 1989 stand ein Prototyp des Golf Country. Der hochbeinige Kompaktwagen sollte eigentlich Montana heißen, dann aber entschied man sich in Wolfsburg für Country, zeigte Vorserienmodelle auf Messen und startete im April 1990 die Serienfertigung. Das heißt: Genau genommen ließ man die Produktion starten, denn in Wolfsburg wurden normale Golf-Modelle gebaut, die dann bei Steyr-Daimler-Puch im österreichischen Graz (heute Magna-Steyr) die Geländegängigkeit eingebaut bekamen.
Konkret bedeutete das, dass die Karosserie mittels Distanzrahmen um sechs auf dann 18 Zentimeter Bodenfreiheit angehoben, ein Unterfahrschutz montiert, vorn ein Kuhfänger angebaut und hinten ein abklappbarer Reserveradhalter angeschraubt wurde. Zudem erhielt das Auto einen Allradantrieb, der die Motorkraft über eine Visco-Kupplung an alle vier recht freistehenden 15-Zoll-Rädlein verteilte.
Für sparsame Förster gab's die Farbe "Waldgrün"
33.225 Mark verlangte VW für den Golf Country damals, und vermutlich war es der hohe Preis, der Oberförster und Hüttenwirte, Jagdpächter und Wildhüter abschreckte. Das erkannte auch das Marketing in Wolfsburg und schob bereits im Juli eine abgespeckte "Allround-Version" nach, die ausschließlich im Lackton "Waldgrün" zum Preis von 31.825 Mark ausgeliefert wurde. Und für die Kundschaft am anderen Ende des Waldes, wo die große Stadt mit ihren Verlockungen lag, baute VW das Sondermodell Golf Country Chrom, ganz in Schwarz und mit cremefarbenem Lederinterieur, für 40.700 Mark. Allein es half nicht viel. Bereits im Oktober wurde die Produktion des Golf Country wieder eingestellt - nach nur 7735 Exemplaren.
Das Beispiel zeigt, dass es ganz entscheidend aufs Timing ankommt, ob ein Auto Erfolg hat oder nicht. Und natürlich auch auf die Preisgestaltung. VW jedenfalls lag beim Golf Country in beiden Fällen daneben. Wohingegen ein höher gelegter, allradgetriebener Golf mit einigen rustikalen Accessoires zehn Jahre später wohl ein echter Trendsetter geworden wäre. Da aber zauderte Volkswagen, verhedderte sich stattdessen im Kleinklein von Golf, Jetta und Bora, stopfte Millionen in die Entwicklung des Phaeton und hatte überhaupt ganz andere Pläne als ein Spaßmobil für die Mittelschicht.
Ein "Grenzgänger" auf dem Hause Volkswagen
Dies wird nun, mit dem Tiguan nachgeholt. Er sei, teilt VW mit, "als Grenzgänger zwischen der urbanen Welt und endlosen Landschaften" konzipiert. Anders gesagt: Er ist mit rund 4,40 Meter Länge noch einigermaßen handlich und verfügt über einen Allradantrieb, der ihn zumindest bedingt geländetauglich macht. Zum Start wird VW den Tiguan mit insgesamt fünf Motorvarianten anbieten, wobei es sich ausschließlich um aufgeladene Direkteinspritzer handelt. Die beiden TDI-Aggregate gibt es mit 140 und 170 PS, die drei FSI-Maschinen sind mit 150, 170 und 200 PS erhältlich.
Der Golf Country trat damals noch deutlich bescheidener auf. Sein 1,8-Liter-Vierzylindermotor leistete 98 PS und beschleunigte das Auto auf maximal 155 km/h. Eine GTI-Version mit 107 PS gab es ebenso, und auch ein Dieselmodell soll es gegeben haben, doch hat selbst VW die Spur zu diesem Fahrzeug verloren. Immerhin: Einige der Country-Modelle haben die Zeit bis heute überstanden - und reifen allmählich zu schrägen Kultautos, die den seltsamen Charme des Unfertigen und Selbstgebastelten verströmen. Fans dieses Autos, das Zeugnis ablegt vom manchmal auch zu forschen Vorgehen bei VW, können gut erhaltene Modelle des Typs Golf Country heute für zirka 6000 Euro erstehen. Ein neuer Tiguan dürfte etwa das Vier- bis Fünffache kosten.