Dioxin-Skandale Das Überall-Gift
Dioxin-Opfer Juschtschenko: Im September 2004 ließ sich Wiktor Juschtschenko in das Wiener Rudolfinerhaus einliefern. Der ukrainische Präsidentschaftskandidat klagte über Unterleibs- und Rückenschmerzen, seine Gesichtsmuskeln waren gelähmt und er musste sich häufig übergeben. Die verstörenden Porträts des erkrankten Politikers gingen damals um die Welt. Wochenlang rätselten Ärzte und Öffentlichkeit über die Gründe für die plötzliche Erkrankung. Im Dezember diagnostizierten die Ärzte schließlich, dass Juschtschenko mit Dioxin vergiftet worden war.
Sperrzone: Bei einer Explosion am 10. Juli 1976 in der Chemiefabrik Icmesa im italienischen Meda waren etwa zwei Kilogramm Dioxin freigesetzt worden. Die giftige Staubwolke verseuchte ein sechs Quadratkilometer großes Gebiet der Gemeinden Seveso, Meda, Desio und Cesano Maderno - das Militär evakuierte das gefährdete Gebiet und erklärte es zur Sperrzone.
Chlorakne: Nach dem Seveso-Chemieunglück von 1976 in Italien erkrankten rund 200 Menschen an Chlorakne - ein Sympton einer Vergiftung durch Dioxin. Der hochtoxische Staub wurde in der Weltpresse als "Seveso-Gift" berühmt und richtete erstmals das Augenmerk der Allgemeinheit auf die Gefahren, die von Dioxin ausgehen.
Umweltkatastrophe von Seveso: Der plötzliche Tod von mehr als 200 Schafen im Herbst 1980 alarmierte die Bevölkerung von Seveso in Italien. Die Bürger sahen das Viehsterben als Spätfolge der Dioxin-Katastrophe, die sich an diesem Ort vier Jahre zuvor ereignet hatte. Die Schafherde hatte auf einer Weide in der Nähe der Ortschaft Desio gegrast, die zu dem damals verseuchten Gebiet gehörte.
"Erst wenn der letzte Baum gefällt ...": Im Juni 1981 protestierte Greenpeace mit einer spektakulären Aktion gegen den Pharmakonzern Boehringer in Hamburg. Nachdem sich die Aktivisten Harald Zindler und Peter Krichel mit einem Kleinlaster der selbsterfundenen Spedition "Friedemann Grün" auf das Werksgelände geschmuggelt hatten, kletterten sie den Schlot der Chemiefabrik empor und hängten ein Banner mit dem Greenpeace-Slogan "Erst wenn der letzte Baum gefällt, der letzte Fluss vergiftet und der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann." Boehringer produzierte Pestizide und blies dabei giftiges Dioxin in die Luft.
Schreckliche Spätfolgen: Die Kinder auf der Betreuungsstation des Tu-Du-Hospitals in Ho-Tschi-Minh-Stadt im Juli 1993 kamen nach dem "Agent Orange"-Einsatz der USA während des Vietnam-Krieges mit körperlichen Missbildungen zur Welt. Bei der Operation...
... hatten die US-Truppen 72 Millionen Liter des hochgiftigen, dioxinhaltigen "Agent Orange" zur Entlaubung der Wälder eingesetzt. Während des Vietnam-Krieges wurde von 1962 bis 1971 ein Gebiet von insgesamt 2,5 Millionen Hektar mit den gefährlichen Herbiziden besprüht. Das Foto zeigt vier US-amerikanische Flugzeuge vom Typ C 123 im September 1965 über dem südvietnamesischen Dschungel nahe Tan Son Nhut.
Vergiftet und Verlassen: Der Stadtteil mit dem idyllischen Namen Love Canal in Niagara Falls, New York, steht heute als Synonym für einen Umweltskandal ungeheuren Ausmaßes. In der Siedlung häuften sich in den siebziger Jahren schwere Krankheiten, Geburtsfehler und Fehlgeburten. Bei einer Untersuchung 1979 wurde festgestellt, dass das Erbgut von 33 Prozent der Einwohner schwer geschädigt war. Normalerweise betrifft diese Erkrankung nur ein Prozent der Bevölkerung. Zudem traten in der Gegend immer wieder übelriechende, teilweise ätzende Flüssigkeiten in Gärten, Kellern, auf Straßen und Spielplätzen aus dem Boden. Pflanzen starben, Kinder kamen mit schweren Verbrennungen vom Spielen nach Hause. Es stellte sich heraus, dass auf dem Land bereits seit den vierziger Jahren Giftmüll entsorgt worden war. Die Konzentration von Giften - unter anderem Dioxin - in Boden, Luft und Wasser war so hoch, dass Love Canal zum Sperrgebiet erklärt wurde.
Probenentnahme in Times Beach: In der amerikanischen Kleinstadt Times Beach, gut 30 Kilometer südwestlich von St. Louis, wurden in den siebziger Jahren die nicht asphaltierten Straßen mit dioxinverseuchten Ölabfällen eingesprüht, damit im Sommer nicht so viel Staub aufgewirbelt wird. Erst 1982 erfuhren die Bewohner von der tickenden Zeitbombe vor ihren Haustüren. Die Stadt wurde evakuiert, das Gelände Eigentum des Staates Missouri. Für insgesamt 200 Millionen Dollar wurde der Flecken saniert, auf dem schließlich 1999 ein Park eröffnet wurde, der an die Geschichte von Times Beach erinnern soll.
Leben auf dem Giftfass: Auch der SPIEGEL beschäftigte sich in seiner Titelgeschichte vom 30. Mai 1983 mit dem Skandal von Seveso. Nach dem Unglück waren 41 Giftfässer verschwunden. Diese waren zu diesem Zeitpunkt zwar wieder aufgetaucht - doch mit der Aufarbeitung von Dioxin-Skandalen rund um den Globus war gerade erst begonnen worden.
Anmerkung der Redaktion: Die Bilderstrecke enthielt ursprünglich einen Hinweis auf die Titelgeschichte aus der Ausgabe 31/1991, in der der Eindruck entstehen kann, dass Boehringer Ingelheim in die Produktion des Entlaubungsmittels "Agent Orange" involviert war. Dies lässt sich nicht belegen. Boehringer Ingelheim stellt gegenüber dem SPIEGEL klar, dass sie niemals Agent Orange hergestellt oder durch Vorprodukte oder Grundstoffe zu dessen Herstellung beigetragen haben.