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Exotische deutsche Küche: Kraut und Kartoffeln für den Mauerfall

Foto: Lisa Maria Hagen

Koch als Kulturbotschafter Currywurst für Costa Rica

Sauerkraut in San José - das ist ein Problem. Denn das Kraut muss man einfliegen und bei vielen Zutaten improvisieren. Hotelkoch Kai Jockel wird gern gebucht, wenn das Essen nach seiner Heimat Deutschland schmecken soll. Spätzleschaben für 400 Gäste ist aber auch für ihn eine Tortur.
Von Lisa Maria Hagen
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Die Kohlroulade taucht in die Soße, während in der Suppe die Linsen kichern und Curry auf die Wurst rieselt. Drückend schwül ist es in der Küche des Hotels Intercontinental in San José, Costa Rica. Im schwarzen Anzug und mit hochroten Wangen huscht Kai Jockel durch die Küche. Der Schweiß kringelt seine Locken im Nacken.

Kai Jockel ist Küchenmanager des Hotels. Seit einem Jahr arbeitet der Deutsche in der Hauptstadt Costa Ricas, war zuvor in China, Ecuador und Saudi-Arabien. Seine Spezialität: deutschen Gästen in dem zentralamerikanischen Land das Gefühl geben, wie daheim zu essen.

Bereits zum Empfang des Bundespräsidenten Christian Wulff im Mai dieses Jahres war Jockel dafür zuständig. Doch sein größter Auftrag dieser Art war die Feier des deutschen Botschafters zum Tag der Einheit.

Es ist schwierig, die passenden Lebensmittel überhaupt zu bekommen, Tausende Kilometer von Deutschland entfernt. Sauerkraut, Bratwürste und Räucherforelle standen auf dem Speiseplan, 400 Namen auf der Gästeliste. Eine Herausforderung in Costa Rica, sogar für Kai Jockel.

Die Räucherforelle liefert ein Maurer

"Über Kontakte konnten wir einen deutschen Metzger auftreiben, der die Würste nach deutschem Standard hier in Costa Rica herstellt", erklärt Jockel. "Die Räucherforelle hat uns ein Maurer aus San José zugeliefert, der das eigentlich nur als Hobby macht." Nur das Sauerkraut haben sie einfliegen lassen. Die Fermentierung des Weißkohls, bei der Sauerkraut entsteht, ist zu aufwendig.

"Dass Sauerkraut oder Kohlrouladen in Costa Rica tatsächlich wie Sauerkraut oder Kohlrouladen in Deutschland schmecken, ist nicht selbstverständlich", so Jockel. Schließlich hatte selbst sein Küchenchef Marcial Cañas, der aus El Salvador kommt, in seinem Leben noch keine Kohlroulade auf dem Teller. Also tauschte Kai Jockel den Anzug zeitweilig gegen ein Kochhemd, und Marcial Cañas verwandelte sich vom Chef zum Lehrling.

Sechs Stunden schwitzten die beiden am Vorabend des Fests, um alles vorzubereiten. Sie brieten dem Strammen Max Eier, verpassten dem Hackfleisch Kohlwickel und siebten Spätzlemasse ins kochende Wasser. Von Hand, für 400 Gäste. Es gibt nun mal keine Spätzlepresse in Costa Rica.

"Linsen, wir brauchen noch Linsen"

Dann schließlich ist der große Tag gekommen. Draußen staut sich die Menschenschlange durch die Lobby bis zum Ausgang. Jeder will dem Botschafter die Hand schütteln. Einer der Köche schnippelt stoisch Currywürste, eine nach der anderen, 200 Stück. Auf kleiner Flamme blubbert die feuerrote Soße. Der Konditormeister hält Kai Jockel ein Stückchen Bienenstich unter die Nase. Zwei große Bissen, ein paar Krümel gehen zu Boden und Jockels Daumen nach oben. Auch der Kuchen ist nach seinem Rezept.

Noch 30 Minuten. Die Temperatur im Küchentrakt klettert steil auf die 40-Grad-Marke zu. "Linsen, wir brauchen noch mehr Linsen", brüllt Cañas. Wie die Ameisen wuseln rund ein Dutzend Köche, Konditoren und Gehilfen durch die Küche. Cañas wischt sich mit dem Hemdärmel den Schweiß von der Stirn und kleckst weiter Currysoße auf die Wurststückchen. Im Topf hinter ihm sprudelt das heiße Fett über, eine Feuerfontäne schießt zischend in die Luft. "So frittieren wir in Costa Rica", witzelt ein Koch und dreht die Gasflamme vorsichtig runter.

"Ich versuche die Stärken all meiner Mitarbeiter auszunutzen, um unsere Speisekarte möglichst bunt zu gestalten", sagt Küchenchef Marcial Cañas. Sich etwas zeigen zu lassen, sei für ihn überhaupt kein Problem. "Was mir an der deutschen Küche gefällt, ist, dass die Qualität der Produkte vor dem Anrichten kommt."

Einer der Kellner hievt sich ein riesiges Tablett voll Kohlrouladen auf die Schulter und geht aus der Küche durch den grauen Gang. Die Tür schwingt auf, er blinzelt geblendet und durchschreitet dann die Kältewand der Klimaanlage. Im Saal flanieren die Botschafter, Politiker und Firmenvertreter von Tisch zu Tisch. Nippen an ihrem Glas Wein oder stürzen ein kühles Öttinger - eines der wenigen deutschen Biere, das in Costa Ricas Supermärkten im Regal steht.

Die Schlangen am Buffet werden kürzer, und Kai Jockel mit seinen glühenden Wangen kommt nach draußen, um den Botschafter zu begrüßen. Der löffelt zufrieden seine Linsensuppe. Er schwärmt von den Kochkünsten seiner Frau, die mit Jockel das Menü erstellt hat.

KarriereSPIEGEL-Autorin Lisa Maria Hagen (Jahrgang 1989) ist freie Journalistin in Köln.