Florence & the Machine: "Ich bin kein High-Tech-Mädchen"
Popstar Florence & The Machine Lieber laut!
Berlin, windig, zehn Grad, der Hut sitzt. Florence Welch gibt auf der Dachterasse eines Clubs für den Internet-Musiksender Tape.tv ein kleines Akustikkonzert. Die 25-jährige Londonerin tuschelt mit ihrem Gitarristen, lacht schallend und ist doch sofort hochkonzentriert, sobald das Zeichen zum Spielen gegeben wird.
Mit ihrem breitkrempigen Hut auf den roten Haaren erinnert sie äußerlich an Siebziger-Jahre-Sängerinnen wie Carly Simon oder Stevie Nicks. Das Lied, das leise begann, nähert sich seinem Höhepunkt; Florence Welchs Gesang wird intensiver - da kommt aus den Boxen ein plötzlicher Hall, die Sängerin bricht ab, es war zu laut. "Song eins, Klappe, die zweite", ruft der Aufnahmeleiter.
Zwei Stunden später und fünf Kilometer weiter sitzt Florence Welch am Interviewtisch, der Hut liegt neben ihr auf der Sitzbank. "Ich liebe Hüte, ich kaufe immer welche, wenn ich unterwegs bin", sagt sie und beklagt, dass sie keine vernünftige Hutschachtel habe: "Zu Hause habe ich einige schöne, alte, aber die gehen zu leicht kaputt." Aber gibt es denn keine Hightech-Hutschachteln, die man auch in Flugzeuge und Tourbusse mitnehmen kann? "Kann sein, aber ich bin kein Hightech-Mädchen. Das würde nicht zu mir passen. Ich will alte, mit Mustern drauf."
Mit ihrer etwas altmodischen Art ist Florence Welch seit 2009 für immer mehr Menschen zu einem besonderen Popstar geworden. Sie nennt sich Florence & The Machine, wobei The Machine keine feste Band ist, sondern wer auch immer sie gerade begleitet - Florence ist immer die Hauptperson. Ihr Debütalbum "Lungs" schaffte es auf Platz eins der britischen Charts und wurde, was noch erstaunlicher ist, auch in den USA mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet. Die Kritiker der Musikzeitschrift "Spin" wählten "Lungs" zum Album des Jahres, und 2011 schaffte es Florence Welch sogar auf die "Time Magazine"-Liste der 100 weltweit einflussreichsten Persönlichkeiten.
Texte über Bedauern, Betrug und Begräbnisse
Doch einen solchen Einschlag hat nicht, wer einfach nur eine altmodische Sängerin ist, die sich ganz in ihre Songs fallen lässt und mit großer Soulstimme im weitesten Sinne Indie-Popsongs singt. Florence & The Machine ist auch ein ausgesprochen modernes Pop-Produkt; der Durchbruch in den USA kam nach einem spektakulären Auftritt bei den MTV Video Music Awards, wo Florence Welch ihren Song "Dog Days Are Over" im großen Ballkleid auf einer rotierenden Scheibe sang, umringt von Tänzern und Gospelchor. Danach tauchten ihre Lieder im Soundtrack etlicher US-Fernsehserien auf. Welch twittert eifrig, tritt bei Google-Mitarbeiterversammlungen auf, bei "X-Factor" und bei Modenschauen von Karl Lagerfeld.
Hätten ihre Heldinnen, die Soul- und Bluessängerinnen der sechziger und siebziger Jahre, all das mitgemacht? "Schwer zu sagen. Wir leben im digitalen Zeitalter; das Internet hat den Zugang der Menschen zu Musik revolutioniert", sagt Welch. Aber früher seien die Sängerinnen auch ins Fernsehen gegangen, "ich habe Ausschnitte von Janis Joplin gesehen." Doch sei noch nicht alles so poliert gewesen: "Heute suchen alle nach dem Hellsten, Klarsten, Schärfsten. Das interessiert mich gar nicht so. Mir ist ein knarrender Kassettenrecorder lieber als die besten Stereosysteme."
Das Seltsame ist nur: Ihr neues Album klingt gar nicht nach einer solchen Vorliebe fürs Unperfekte. "Lungs", das Debütalbum, war ein charmantes Sammelsurium aus PJ-Harvey-artigem Trotz-Blues ("Kiss with a Fist"), einer sympathischen Disco-Coverversion ("You've Got the Love") und opulent arrangiertem Britinnen-Soul ("Dog Days Are Over"), aufgenommen in verschiedenen Studios mit unterschiedlichen Produzenten. "Die Lieder habe ich geschrieben im Alter von 17 bis 22 Jahren", sagt Welch. "Diesmal wollte ich ein einheitlicheres Werk, wollte ich einen spezifischen Zeitpunkt in meinem Leben festhalten."
Also nahm sie diesmal ausschließlich mit dem Produzenten Paul Epworth im Abbey-Road-Studio auf. Heraus kam "Ceremonials", ein ziemlicher Brocken von einem Album: Fast alle Lieder sind um die fünf Minuten lang, voller Streicher und Stammestrommeln, und Florence Welchs Stimme ist nahezu nonstop im Drama-Modus. Es ist sehr laut.
Was nun nicht heißen soll, dass es eine schlechte Platte ist. Sehr eindrucksvolle Musik ist darauf zu hören, schöne Produktionsideen, bewegende Texte über Bedauern, Betrug und Begräbnisse. Im herausragenden Song "No Light, No Light" singt Florence Welch die schönen Zeilen "Would you leave me, If I told you what I've done?/ And would you leave me, If I told you what I've become?/ 'cause it's so easy to sing it to a crowd/ But it's so hard, my love, to say it to you, alone".
Hand in Hand mit Karl Lagerfeld
Solche persönlichen Bekenntniszeilen sind aber eher die Ausnahme, dafür arbeitet Florence Welch viel mit abstrakteren Bildern aus der Natur: "Songwriting bedeutet manchmal, dass man versucht, die Musik bildlich zu interpretieren und diese Bilder dann zu beschreiben", sagt sie. Besonders das Wasser spielt eine große Rolle: Sie habe eine Faszination fürs Ertrinken, was sich aber nicht durch wiederkehrende Alpträume manifestiere. "Es ist weniger Angst als eine Art Verlockung. Ich bin gerne unter Wasser, ich mag das Friedliche daran. Hat vielleicht mit einer Meerjungfrauen-Fixierung in der Kindheit zu tun", sagt sie und lächelt versonnen.
Eine Kindheitserinnerung prägt auch den Song "Only If for a Night", der im Kontext des Albums besonders gefällt, weil er eine etwas zurückhaltendere Dramaturgie hat. Hier hört sie die Stimme ihrer Großmutter, die starb, als Florence zwölf Jahre alt war: "Alle waren bei der Trauerfeier in der Kirche, aber ich war alleine draußen auf dem Friedhof. Die Sonne schien, das Gras glänzte grün. Ich machte Handstände und bastelte einen Kranz aus Gänseblümchen. Es war mein persönliches Ritual, die Art eines Kindes, Abschied zu nehmen."
Schon als junges Mädchen liebte Florence Welch es, sich zu verkleiden - damit erklärt sie sich ihr Faible für die Welt der Mode, besonders für Karl Lagerfeld. Bei dessen Frühjahrschau entstieg Florence Welch einer Art Muschel und ging Hand in Hand mit dem Designer den Catwalk entlang; nun hat Lagerfeld das Plattencover für eine limitierte Edition der Florence & The Machine-Single "Shake It Out" entworfen. "Ich liebe die Phantasie und die Romantik der Mode", schwärmt Florence Welch: "Wenn man sieht, wie Karl seine eigene Welt erträumt hat und sie dann im Grand Palais lebendig werden lässt - dafür habe ich größte Bewunderung."
Eine eigene Welt erträumen - solche Ansprüche an die Größe von Kunst scheinen auch hinter dem großen, lauten Klang des zweiten Albums von Florence & The Machine zu stecken. Der amerikanische "Rolling Stone" sieht sie bereits auf dem Weg zu U2-artiger Popularität. Doch wie bei U2 auch, wirkt bei "Ceremonials" der Wille zur Größe auf den Hörer manchmal fast erdrückend. Dennoch scheint sicher: Um ihren Hutschachtel-Nachschub wird sich Florence Welch in Zukunft keine Sorgen machen müssen.