"Bobby" Das Ende eines Traums
Sie lächeln selbstvergessen und verklärt, manche gar entrückt, als würden sie nicht einen Menschen betrachten, sondern eine Erscheinung. Als Robert Kennedy seine letzte Rede hält, in der Nacht zum 5. Juni 1968 im Ambassador Hotel in Los Angeles, betrachten ihn seine Anhänger wie den Erlöser; als wäre der nationale Hoffnungsträger JFK, gestorben in Dallas, wiederauferstanden im Körper seines Bruders. Dann verändern sich ihre Gesichter jäh, ungläubiges Erstaunen weicht dem Entsetzen und schließlich der Verzweiflung. Denn Robert Kennedy wurde gerade vor ihren Augen niedergeschossen.
Wie sie all diese emotionalen Aggregatzustände spielen, die Stars dieses Films, von Sharon Stone über Anthony Hopkins, Martin Sheen, Demi Moore, Lindsay Lohan, Harry Belafonte bis Elijah Wood, das wird unter der Regie von Emilio Estevez zum Inbild einer gewaltigen kollektiven Erschütterung. Die Stars, auch die weiblichen, sind kaum geschminkt: Ihre Gesichter sollen reine Bildfläche der Gefühle sein.
In seinem großartigen Ensemblefilm "Bobby" rekonstruiert Estevez die letzten Stunden vor dem Attentat auf Kennedy im Hotel und erfindet sie zugleich neu. Gut ein Dutzend Handlungsfäden webt er geschickt um den Titelhelden, der selbst fast nie zu sehen ist. Da schläft der Hotelmanager (William H. Macy) mit einem Zimmermädchen (Heather Graham), während seine Frau (Sharon Stone) im Schönheitssalon eine alternde Diva (Demi Moore) für ihren Auftritt frisiert; da wartet eine tschechische Journalistin vergebens auf ein Interview mit Kennedy, während zwei Wahlkampfhelfer ihren ersten LSD-Trip erleben.
Die Kamera bewegt sich mit einer dem glamourösen Ort angemessenen Eleganz zwischen den Figuren hin und her, lässt den Zuschauer teilhaben an kleinen Dramen und Komödien, erzählt von Ängsten und Hoffnungen in einer Zeit des Umbruchs. Dabei verbindet Estevez zwei weit voneinander entfernte Genres: den Hotel- und den Katastrophenfilm. Er entfaltet ein Panorama der US-Gesellschaft und beschreibt, wie die Menschen über alle Rassen- und Schichtengrenzen hinweg durch ein unheilvolles Ereignis vereint werden.