Vorlesung als Quiz Ich klicke, also lern ich
Wir sollen uns heute fühlen wie bei Günther Jauch - auch wenn der holzverkleidete Vorlesungssaal an der Uni Hamburg nicht einmal entfernt an die Studiokulisse von "Wer wird Millionär" erinnert. Ein paar Studenten sind schon da, als ich den Raum betrete. Professor Kai-Uwe Schnapp rollt ein Aluminiumköfferchen herein und klappt seinen Laptop auf. Der Beamer wirft die Powerpoint-Folien zum heutigen Thema an die Wand: "Das Interview: Formen und Anwendungsmöglichkeiten". Mit Grauen erinnere ich mich an meine letzte Methodenvorlesung und hoffe inständig, dass es heute besser wird.
Fünf Jahre liegen zwischen mir und der öden Pflichtveranstaltung für Erstsemester "Einführung in die Methoden der empirischen Sozialforschung". Die Vorlesung bildete eine Art Gebrauchsanweisung für alle folgenden Semester Soziologie und Politikwissenschaft. So manches Mal habe ich mir daher später gewünscht, ich hätte besser aufgepasst. Außer Bruchstücken von Max Webers Wertfreiheitspostulat und den zehn Vorteilen des telefonischen Interviews, die ich mir damals für die Abschlussklausur ins Hirn gehämmert habe, ist wenig hängen geblieben.
Vorlesung als Quizshow: Wenn der Prof den Jauch macht
Den Erstsemestern von Professor Schnapp soll es besser ergehen als mir damals - dank moderner Didaktik im Alukoffer: Knapp 200 Clicker hat der Professor mitgebracht. Die Clicker sind eine Art Vorlesungsfernbedienung: Etwa Handygröße, blau-graues Plastikgehäuse, dafür mit 13 selbsterklärenden Tasten wesentlich übersichtlicher als mein Multifunktionsdrücker zu Hause. Ich greife zu.
Wenn Professor Schnapp eine Frage stellt, sollen wir die richtige Lösung per Fernbedienung auswählen. Danach erscheint das Abstimmungsergebnis in Schnapps Präsentation. Mit dem Ratespiel kann er überprüfen, ob wir alles verstanden haben. Wir dürfen uns dafür kurz wie in einer Quizshow fühlen.
Erst der Vortrag, dann das Quiz
Doch bevor Schnapp den Jauch gibt und wir Publikumsjoker spielen dürfen, müssen wir uns zunächst durch die ersten Folien kämpfen - genau wie früher. Der Professor erklärt die unterschiedlichen Fragetypen und erzählt uns von den Tücken bei der Fragebogengestaltung. Seine Quintessenz: "Geben Sie den Interviewten das Gefühl, dass es sich um ein halbwegs normales Gespräch handelt."
Ich erinnere mich dunkel, das habe ich schließlich alles schon mal vor langer Zeit gehört. Leider ist es kein Stück aufregender als damals. Aber da ich gleich erfolgreich mitraten möchte, höre ich immerhin aufmerksamer zu.
Nach gut 20 Minuten dürfen wir zum ersten Mal raten ( hier das Methoden-Quiz selbst ausprobieren!). Es ist kurz nach halb eins, beste Mensazeit, als Professor Schnapp uns fragt: "Mit welcher Aussage würden Sie in einem Interview die Präferenz für Süßigkeiten abfragen?" Ich zumindest würde mich mit der Frage jetzt lieber praktisch in Form eines Schokoriegels befassen.
Auf der theoretischen Ebene warten vier Antwortmöglichkeiten. Antwort A "Es kommt nie vor, dass ich keine Lust auf Süßigkeiten habe" schließe ich wegen der doppelten Verneinung direkt aus. Schließlich hat Professor Schnapp gerade erklärt, dass Aussagen klar verständlich formuliert sein müssen. Auch Lösung D erscheint mir ungeeignet. Wer gibt denn nach der Ernährungsstandpauke "Da Süßigkeiten sehr kalorienhaltig sind, verzichte ich meist auf ihren Genuss" freiwillig zu, dass er zu den Naschern gehört? Ich entscheide mich für C, das schlichte "Ich habe häufig Lust auf Süßigkeiten".
Interaktives Lernen hin oder her - Vorlesung bleibt Vorlesung
Die anderen finden Variante C offenbar auch plausibel: 79 Prozent von uns haben insgesamt für diese Lösung gestimmt - und wir liegen richtig. "Sehr schön, Sie haben es verstanden!", sagt Professor Schnapp. Allerdings haben nur 112 von uns abgestimmt. Ich blicke durch den Raum, das dürften etwa zwei Drittel der Anwesenden sein.
In Schnapps Alukoffer befinden sich noch einige Clicker. Doch während weiter vorne fast alle mit Fernbedienung und ausgedruckten Vorlesungsfolien ausgestattet sind, hat um mich herum fast niemand einen Clicker vor sich liegen. Stattdessen stochert ein Mädchen zwei Reihen vor mir mit einer Plastikgabel in ihrem Couscous-Salat. Die Kommilitonin zu meiner Linken tippt ununterbrochen SMS in ihr Handy. Und der Typ mit den Dreads schräg hinter mir dreht sich schon mal eine Zigarette für später. Interaktives Lernen hin oder her, viele interessiert nicht, was der Dozent erzählt. Vorlesung bleibt Vorlesung.
Müsste ich nächste Woche Klausur schreiben wie die Studenten um mich herum, wäre ich wahrscheinlich aufmerksamer. Aber nicht bloß, weil ich mitraten darf. Dafür ist der Vortrag einfach nicht spannend genug. Kurz wünsche ich mir, ich könnte meinen Clicker zu einem unterhaltsameren Thema als Theorien der Frageformulierung und Filterführung einsetzen.
Das Quiz hält wach
Als uns Schnapp eine Viertelstunde später die nächste Frage stellt, merke ich, dass ich nicht durchgängig zugehört habe. Es geht um den idealen Einstieg ins Interview. Ich habe bloß eine Vermutung, welche Lösungsmöglichkeit richtig ist, kann das aber nicht begründen. Da ich sonst ganz gut mit fremden Menschen ins Gespräch komme, vertraue ich meiner Intuition - und liege natürlich falsch.
Immerhin befinde ich mich in guter Gesellschaft. Ohne die Quizfrage wäre aber wohl weder uns Studenten noch Professor Schnapp aufgefallen, dass wir das mit dem Eisbrechen auf sozialwissenschaftliche Art noch nicht so raus haben.
Professor Schnapp erklärt daraufhin nochmal, worauf es bei der ersten Interviewfrage ankommt: Unverfänglich und nicht zu privat sollte sie sein - "Versuchen Sie mal, ein Interview durchzuführen, bei dem Sie als erstes nach dem Einkommen fragen!" - und sich um ein Thema drehen, zu dem sich jeder äußern kann.
Nach dem gleichen Prinzip geht es weiter: Erst trägt der Professor vor, dann dürfen wir raten, anschließend besprechen wir die Lösung. Am Ende haben wir vier Themenblöcke durchgearbeitet.
Fazit: Das Quizzen macht Spaß, aber der Effekt nutzt sich schnell ab. Ein dröges Thema wird durch gelegentliches Herumdrücken auf einer Fernbedienung nicht interessanter. Weil ich aber durch das Quiz-Intermezzo regelmäßig aufgeschreckt werde, verliere ich nie komplett den Faden. Zu viel Zeit kostet die Raterunde nicht - mehr Stoff als heute habe ich vor fünf Jahren auch nicht aus einer Vorlesung mitgenommen.
Schade nur, dass es bei Professor Schnapp nichts zu gewinnen gibt.
Steckt in Ihnen ein Sozialforscher? Finden Sie es heraus - mit dem Quiz von Professor Kai-Uwe Schnapp.