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Brückenunglück "Wir dachten, wir hätten alles getan"

Der Einsturz der Autobahnbrücke in Minneapolis hat wohl doch weniger Menschen das Leben gekostet als zunächst befürchtet. Bis zum Morgen wurden fünf Menschen tot geborgen. Die Behörden reduzierten inzwischen die Zahl der Vermissten von 30 auf acht.
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Minneapolis - Taucher bargen in der Nacht ein fünftes Todesopfer, wie die Behörden mitteilten. Die Bergungsarbeiten werden heute fortgesetzt. Spezialisten der US-Streitkräfte senkten dafür den Pegel des Mississippi. An dem Einsatz nahmen 15 Taucher und etwa zwölf Boote teil.

Vor dem Einsturz der Autobahnbrücke waren wiederholt Warnungen vor baulichen Mängeln laut geworden. Schon 1990 wies eine Untersuchung auf eine massive Verrostung von Brückenlagern hin - dabei handelt es sich um zentrale tragende Teile des Bauwerks. Die von der Bundesregierung in Washington vorgenommene Untersuchung stufte die Brücke über den Mississippi als mangelhaft ein.

Der Staat Minnesota sei in der Verantwortung gewesen, die Schäden zu reparieren, sagte Regierungssprecher Tony Snow gestern in Washington. Der Gouverneur von Minnesota, Tim Pawlenty, erklärte, es sei klar gewesen, dass die Brücke irgendwann hätte erneuert werden müssen. Es habe aber nie einen Zeitplan dafür oder Hinweise für die Dringlichkeit dieser Aufgabe gegeben. Die Brücke hätte frühestens 2020 ersetzt werden sollen.

Statt einer umfassenden Erneuerung gab es an der Brücke von Minneapolis lediglich punktuelle Ausbesserungen, die im Nachhinein als Flickwerk erscheinen. "Wir dachten, wir hätten alles getan, was wir tun konnten", sagte der zuständige Bauingenieur Dan Dorgan gestern unweit des Unglücksortes. "Offenbar ist da etwas ganz schrecklich falsch gelaufen."

Das US-Verkehrsministerium ordnete eine landesweite Überprüfung aller Brücken der gleichen Bauart an. Verkehrsministerin Mary Peters unterzeichnete eine entsprechende Anweisung an die zuständigen Behörden der einzelnen US-Staaten. Betroffen sind etwa 77.000 der insgesamt rund 600.000 Brücken, davon 1160 in Minnesota.

Bei der Untersuchung der Unglücksursache wurde auch erwogen, ob der starke Verkehr auf der achtspurigen Interstate 35W zum Einsturz beigetragen hat. Täglich fuhren 141.000 Autos und Lastwagen über die Brücke. Jüngste Inspektionen hatten auf Risse durch Materialermüdung hingedeutet. Die Behörden wurden vor die Alternative gestellt, entweder zusätzliche Stahlträger zur Verstärkung der Konstruktion einzubauen oder eine eingehende Inspektion zu veranlassen, um nach weiteren Rissen zu suchen. Sie entschieden sich für die zweite Option. Diese Untersuchung hatte im Mai begonnen. Als weiteren möglichen Faktor für den Einsturz nannten Experten die Bauarbeiten zur Ausbesserung des Belags, die zum Zeitpunkt des Unglücks im Gange waren.

Morgen will US-Präsident George W. Bush den Unglücksort besuchen. Er stellte Finanzhilfe für den schnellen Wiederaufbau der Brücke in Aussicht.

Sharon Cohen, AP