Mexikos Drogenkrieg Die Show des Präsidenten
Mexikos Drogenkrieg: Die Show des Präsidenten
Foto: STRINGER/MEXICO/ REUTERSBerlin - Der mächtige Drogenboss wird kurz nach seiner Festnahme gleich der Öffentlichkeit präsentiert: Schwerbewaffnete und maskierte Polizisten stellen Óscar García Montoya vor eine Wand mit dem Logo der mexikanischen Regierung. Es sieht so aus, als ob ein berühmter Fußballspieler zum Interview nach dem Spiel bestellt worden ist.
Die Bilder muten wie eine Medienkampagne der Regierung des Präsidenten Felipe Calderón an. Er will zeigen, dass der militärische Kampf gegen die Drogenmafia der richtige Weg ist, die Gewalt in Mexiko zu stoppen.
In Wirklichkeit bleibt seine Strategie gegen die Drogenbosse wirkungslos. Die Zahl der Morde im Land steigt, berichten Bürgerrechtsorganisationen und Calderóns Regierung selbst. 2009 wurden 6587 Personen im Drogenkrieg getötet. Ein Jahr später gab es 11.800 Opfer. Von Januar bis August 2011 wurden bereits 7912 Morde gezählt.
Ständig tauchen neue Organisationen mit neuen Bossen auf
Diese Zahlen zeigen: Die spektakulären Festnahmen bedeuten wenig. Dabei wurden bereits zahlreiche Bosse der Öffentlichkeit vorgeführt. Im Januar 2008 war es Alfredo Beltrán Leyva, genannt "El Mochomo", im folgenden Jahr wurde sein Bruder getötet - auch das wurde als Coup gefeiert. 2010 und 2011 wurden auch José Gerardo Álvarez-Vázquez, "El Indio"; Édgar Valdés Villarreal, "La Barbie"; Sergio Villarreal Barragán, "El Grande"; und José Antonio Acosta, "El Diego", verhaftet. Sie waren alle wichtige Drogenbosse, standen auf der Liste der meistgesuchten Kriminellen, sowohl der mexikanischen als auch der amerikanischen Regierung.
Mexiko: Der blutige Drogenkrieg
Doch die Verhaftungen hielten die Kämpfe nicht auf. "Es nützt nichts, wenn man den Medien verhaftete oder getötete Drogenbosse präsentiert. Die Kartelle sind kriminelle Unternehmen, und sie funktionieren mit oder ohne 'La Barbie'", sagt der mexikanische Experte für organisierte Kriminalität, Edgardo Buscaglia. "Sie sind nicht von Personen, sondern von den korrupten Strukturen der Regierung und der Wirtschaft abhängig."
Tatsächlich bewirkt die Festnahme oder der Tod von führenden Köpfen eines Kartells oft, dass sich neue Banden gründen, die zu mächtigen Organisationen werden. Das sieht man gerade am Beispiel von Óscar García Montoya.
García Montoya gehörte einem der mächtigsten Kartelle Mexikos an, dem der Beltrán-Leyva-Brüder. Er schloss sich ihnen im Jahr 2002 an und arbeitete seitdem für große Drogenbosse. Aber nachdem das Beltrán-Leyva-Kartell zwischen 2009 und 2010 zerschlagen wurde, gründete García Montoya seine eigene Organisation, "La Mano con Ojos" (zu Deutsch: "Die Hand mit Augen").
Im Krieg gegen die Drogen werden Menschenrechte nicht geachtet
Auch andere Kartelle, die lange das Geschäft beherrschten, verloren mächtige Anführer, wie etwa "La Familia" aus dem Bundesstaat Michoacán. Deren Boss hieß Nazario Moreno González, er wurde im Dezember 2010 getötet. Dennoch tauchten ständig neue Organisationen mit neuen Bossen auf, die fast genauso stark sind wie die alten, darunter etwa die "Caballeros Templarios", die Tempelritter.
Die Regierung von Präsident Calderón gerät unter Druck. Um im Kampf gegen die Drogenbosse Ergebnisse zu präsentieren, ist sie bereit, für die Festnahme von wichtigen Bossen fast jeden Preis zu zahlen. Längst schließt dieser Preis die Menschenrechte in Mexiko ein. Im sogenannten Krieg gegen die Drogen sind sie nicht mehr viel wert. Auch das hat die Festnahme von García Montoya gezeigt.
Am Tag der Festnahme, gegen 7 Uhr morgens, begannen Nutzer von Facebook und Twitter in Mexiko, einen Text weiterzuleiten. Es war eine Geschichte von Efraín Bartolomé, einem bekannten Dichter. Eine wahre Geschichte.
Er beschrieb, wie schwarz gekleidete Männer mit Kapuzen über dem Kopf sein Haus im Südwesten von Mexiko-Stadt gestürmt hatten. Die Männer hatten lange Waffen dabei und zerstörten Möbelstücke.
"Sind wir wirklich so verlassen?"
Der Dichter schrieb, dass die Männer Uniformen mit dem PFP-Logo trugen, Policía Federal, Bundespolizei also. Es war etwa 2 Uhr morgens, als sie kamen. Um 4 Uhr morgens schrieb Bartolomé seinen Text, machte Fotos von seiner verwüsteten Wohnung und stellte alles ins Internet. Seine Frau und er, so schreibt er, wurden bestohlen, Uhren, Computer, Fotoapparate und Autos wurden ihnen genommen. Zwei Nachbarn haben dasselbe erlebt. Sie riefen die Polizei, die allerdings nie im richtigen Moment kommt. Sie kam auch jetzt nicht.
Am Abend desselben Tages gab ein mexikanischer Staatsanwalt die Festnahme von Óscar García Montoya bekannt. Ganz nebenbei entschuldigte er sich bei all jenen, die sich belästigt gefühlt haben könnten von den Polizeiaktionen, die zu der spektakulären Festnahme geführt hatten. Er meinte den mexikanischen Dichter.
"Es stimmt, dass Mexiko viele wichtige Drogenbosse festgenommen hat. Aber der Preis ist zu hoch. Man kann nicht dem Recht Genüge tun, indem man Kriminelle festnimmt, aber zugleich dasselbe Recht vergewaltigt und unschuldige Bürger überfällt", sagt Carmen Aristegui, eine führende politische Journalistin Mexikos.
Der Dichter Bartolomé hat für seine Geschichte über seine Begegnung mit dem mexikanischen Rechtsstaat eine Frage als Titel gewählt: "Sind wir wirklich so verlassen?"