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Marine Le Pen: Neue Frontfrau für die Rechtsextremen?

Foto: PASCAL ROSSIGNOL/ REUTERS

Le-Pen-Tochter Papas zuckersüße Populistin

Frankreichs rechtsextreme Front National wählt den Nachfolger des berüchtigten Jean-Marie Le Pen. Das Amt soll in der Familie bleiben: Tochter Marine hat beste Chancen auf den Job. Sie gibt sich freundlich und modern - und ist in den Augen ihrer Kritiker deshalb umso gefährlicher.
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Fast wäre die Provokation unbemerkt geblieben: Anfang Dezember wetterte Marine Le Pen von der rechtsextremen Front National gegen die Ausbreitung des Islam, Straßengebete von Muslimen verglich sie mit der Okkupationszeit der Nazis. "Das ist eine Besatzung von Teilen staatlichen Territoriums", schimpfte Le Pen, 42, bei einer Veranstaltung ihrer Partei, deren Chefin sie nun werden will. Aber erst als sie im Fernsehen ihre Bemerkung wiederholte ("Es gibt keine Panzer, keine Soldaten, aber eine Besatzung ist es dennoch"), erhob sich in Frankreich ein Sturm der Entrüstung. Der Eklat war gewollt, er sorgte für die gewünschte Publizität.

Marine Le Pen bewirbt sich um die Nachfolge ihres Vaters und Front-National-Gründers Jean-Marie Le Pen, an diesem Wochenende fällt die Entscheidung bei einem Parteitag in Tours. Die Mitglieder haben die Wahl zwischen dem Universitätsprofessor Bruno Gollnisch, 60, und Marine Le Pen. Es sind zwei Generationen - und zwei Visionen:

  • eine Front National ganz in der rechtsradikalen Tradition,
  • eine Partei mit neuem Auftritt und einer weiblichen Führungsfigur, um als politischer Partner salonfähig zu werden.

Am Samstagmorgen meldete die Nachrichtenagentur AFP bereits unter Berufung auf Parteikreise, Marine Le Pen habe sich in der schriftlichen Mitgliederbefragung gegen Gollnisch durchgesetzt. Laut der Online-Ausgabe der französischen Tageszeitung "Le Monde" sprachen sich etwa zwei Drittel der rund 23.000 Mitglieder für Marine Le Pen aus. Offiziell will die Front National das Ergebnis der Abstimmung allerdings erst am Sonntag auf dem Parteitag bekanntgeben.

Marine Le Pen

Mit ihren Attacken gegen Muslime verblüfft freilich die Öffentlichkeit. Hatte die jüngste Tochter des berüchtigten Rechtsextremisten nun ihr wahres Gesicht gezeigt? Oder inszenierte sich die telegene Blonde nur als Hardlinerin, weil sie bei den Partei-Traditionalisten Rückhalt sucht?

Beides stimmt. Die Nähe zu Papa ist nicht der einzige Trumpf der gelernten Rechtsanwältin Marine Le Pen. Sie hat es vor allem verstanden, sich in der Öffentlichkeit als gemäßigte Alternative zu ihrem Konkurrenten zu präsentieren - als weichgespülte Version von Frankreichs Rechtsextremisten, als Populistin mit Publikumsappeal. Bei Fernsehdebatten kann sie mit Humor und verbaler Durchschlagskraft punkten.

Damit, so das Pariser Magazin "L'Express", ist sie aber auch "ein neues Risiko für die Republik", viel gefährlicher als ihr Vater Jean-Marie, der mit hasserfüllten Tiraden für Aufmerksamkeit sorgte. "Ihre zuckersüße Radikalität kann nicht nur einen Teil der Wähler verführen, sie öffnet zudem bei den Rechtsparteien eine Falltür, die seit 1988 geschlossen war - die des Bündnisses", kommentiert das Blatt.

Die Mutter ein Playboy-Häschen, der Vater ein Holocaust-Leugner

Dafür hat Marine Le Pen, seit dem 18. Lebensjahr für Papas Partei als Aktivistin unterwegs, lange gearbeitet. So wie sie selbst wahrgenommen wird, soll auch die Partei aussehen. Intelligent, freundlich, ohne Komplexe - also "modern".

Ihre Kurskorrektur ergänzt sie um Auslassungen über ihre Vergangenheit - über eine Kindheit zwischen Schrecken und Traumata:

  • Da war der Bombenanschlag auf die Pariser Wohnung der Familie.
  • Da war die bittere, öffentlich ausgetragene Trennung der Eltern.
  • Da war Mutter Pierette, die sich nach dem Streit um Unterhaltszahlungen leicht bekleidet im US-Playboy ablichten ließ, mit Schürzchen und Wischmopp. Immerhin hatte Ex-Gatte Jean-Marie gefordert, sie solle besser "putzen gehen", als auf Alimenten zu beharren.

Nun ist Marine Le Pen keine Glamourfigur aus der "Gala". Sie ist zweimal geschieden, alleinerziehende Mutter dreier Kinder - und inszeniert sich als einfache Tochter aus dem gesellschaftlichen Bodensatz der "France profonde". Sie gibt sich als Sprachrohr der unteren und mittleren Schichten: jenen Franzosen, die enttäuscht sind von den leeren Versprechungen ihres Präsidenten Nicolas Sarkozy, verbittert seit der Krise, zurückgelassen in den Randzonen der Republik.

Für Abtreibung, gegen den Euro

Das ideologische Schmalspurprofil der Front National ergänzt Marine um wirtschaftliche Argumente und gesellschaftliche Reizthemen. Geschickt beschwört sie die Zukunftsängste ihrer Landsleute. Sie appelliert an anti-europäische Ressentiments und fordert den Ausstieg aus dem Euro. Sie will mehr Protektionismus, beklagt den Export von Arbeitsplätzen und die galoppierende Globalisierung, die zum Verfall nationaler Souveränität geführt habe. Sehr zum Ärger der katholisch-patriotischen Parteigenossen plädiert sie für die kostenfreie Abtreibung.

Obendrein befeuert sie, wie andere europäische Rechtsextremisten, den populistischen Anti-Islamismus - obwohl sie sich als junge Anwältin wiederholt für die Rechte von Einwanderern einsetzte. Natürlich hat sie nichts gegen Muslime, erklärt Le Pen, nein, nur gegen radikale Islamisten.

"In Wahrheit haben wir immer schon recht gehabt. Unsere Slogans sind nicht nur gesellschaftsfähig geworden, sondern auch mehrheitsfähig", erklärt Marine Le Pen unverblümt. Das gibt nicht nur Präsident Sarkozy Anlass zur Sorge, der 2007 dank rechter Parolen und mit inhaltlichen Anleihen bei der Front National von den Rechten gewählt wurde. Auch ein Wahlbündnis mit den Rechtsextremisten ist nicht länger tabu.

"Wir haben immer schon recht gehabt"

Jean-Marie Le Pen

Die angestrebte Annäherung an die politische Mitte bleibt dennoch ein ambitioniertes Projekt für die Front National, die noch immer Altlasten der Geschichte mit sich herumschleppt. Denn , Chef seit 1972, mobilisierte vor allem mit antisemitischen Hetzparolen und einem platten Nationalismus, wenn er etwa im Kader der Fußballnationalmannschaft zu viele Schwarze entdeckte. Er leugnete den Holocaust oder verharmloste die Gaskammern der Nationalsozialisten als "Detail der Geschichte".

Die Hetzparolen brachten ihm Prozesse und Verurteilungen ein - was ihn erst recht zum Helden einer rechtsextremen Basis machte. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität überflügelte er bei der Präsidentschaftswahl 2002 sogar den Sozialisten Lionel Jospin (bevor er gegen Jacques Chirac unterlag).

Front National

Doch das neofaschistische Wortgeklingel soll der Vergangenheit angehören, wenn es nach Marine Le Pen geht, die auch als Abgeordnete ins Straßburger EU-Parlament gewählt wurde. Die neue soll eine national wie sozial engagierte Partei sein, die sich an das "gesamte französische Volk" wendet, fordert sie.

Zunächst freilich muss sie das eigene Lager hinter sich bringen. Ihr Vergleich von betenden Muslimen mit der deutschen Besatzung hat ihr jetzt in Lyon ein Verfahren wegen "Anstiftung zum Rassenhass" eingebracht. Die Politikerin reagierte so wie ihr Vater - und wie ihre Anhänger es erwarten. Bei dem Begriff "Okkupation" handele es sich nicht um einen Ausrutscher, gab sie zu Protokoll, sondern, um die Beschreibung einer Realität nach "eingehender Analyse". "Ich bleibe bei meiner Meinung", beharrt sie. "Ich rücke kein Jota davon ab." Alles deutet darauf hin, dass mit Marine Le Pen die Leitung der Front National in der Familie bleibt.