Surabaya auf Ostjava Das alte Lied vom Schuft
Ich bin in Surabaya. Endlich. Surabaya in Ostjava ist keine Erfindung von Kurt Weill und Bertolt Brecht, sondern die mit rund drei Millionen Einwohnern zweitgrößte Stadt Indonesiens. Seit ich vor mehr als einem Jahrzehnt zum ersten Mal nach Australien geflogen war, wollte ich nach Surabaya.
Im Flieger wird ja auf den Monitoren die Flugstrecke angezeigt - und da waren sie plötzlich, diese Namen, die verbunden sind mit Tropen, Exotik, Abenteuer, verewigt in Romanen, Filmen und Liedern: Sumatra, Borneo, Java. Auf dieser Flugroutenkarte war eben auch Surabaya eingezeichnet, und mir kam sofort die Ballade "Surabaya-Johnny" aus dem Brecht/Weill-Stück "Happy End" in den Sinn.
"Surabaya-Johnny, warum bist du so roh? / Surabaya-Johnny, mein Gott, ich liebe dich so"
Jetzt habe ich es nach Surabaya geschafft, das wegen seiner wichtigen Rolle im Unabhängigkeitskampf der Indonesier gegen die holländischen Kolonialherren den Ehrentitel "Heldenstadt" trägt.
Eigentliches Ziel meiner Reise ist der Schlammvulkan im etwa 20 Kilometer von Surabaya entfernten Sidoarjo. Vor fünf Jahren ging dort eine Gasbohrung der Firma Lapindo schrecklich schief. Seitdem quellen unaufhörlich Unmengen von stinkendem Schlamm aus dem Bohrloch. Auf einer Fläche von mehr als 800 Hektar sind ganze Dörfer, Straßen und Reisfelder unter einer zehn Meter dicken Schlammschicht verschwunden und einige zehntausend Mensche sind obdachlos geworden.
Lusi, wie die Einheimischen den Schlammvulkan nennen, ist zu einem Ziel des Katastrophentourismus geworden. Reisbauern, deren Felder unter dem Schlamm begraben wurden, verdienen sich ihre Rupiahs mit Mopedtouren über den Damm, der die Schlammmassen kaum noch halten kann, oder als Verkäufer von DVDS mit Videos und Fotos eines der größten Umweltskandale Indonesiens.
Natürlich will ich aber auch wissen: Kennen die Surabayaner die traurige Ballade über den untreuen Johnny, die seit der Weltpremiere 1929 am Theater am Schiffbauerdamm in Berlin von Marianne Faithful, Nina Hagen bis Bette Middler und Milva jede bessere Diseuse im Repertoire hat? In meinem Hotel unterhält jeden Abend eine Live-Band die Gäste. "Können Sie 'Surabaya-Johnny' für mich spielen?", frage ich den Bandleader. Der Musiker lächelt asiatisch höflich, hat aber keine Ahnung, wovon ich spreche.
"Surabaya-Johnny, warum bin ich nicht froh ? Du hast kein Herz, Johnny, und ich liebe dich so"
Am nächsten Tag ist Sightseeing angesagt. Mit einer klapperigen Fahrradrikscha fahre ich durch die Altstadt, deren Zentrum der Basar rund um die Sunan-Ampel-Moschee ist. Im Basar schnitzen Handwerker Holzschuhe, bieten Parfumhändler ihre nach Lavendel, Moschus und Rosen duftenden Wässerchen an, verkaufen Läden allerlei islamische Accessoirs wie Hijabs für die Frauen und Gebetskappen für die Männer, schleppen stramme Kulis in riesigen Körben Obst, Gemüse und Fisch durch die engen Gassen.
In einem staubigen CD-Laden ist arabischer Pop im Angebot, indonesische Schlager, internationales Liedgut von Michael Jackson bis Beyonce auch - aber keine CD mit dem deutschen Gassenhauer.
Im nahe gelegenen Hafen, wo moderne Containerschiffe neben traditionellen Fischkuttern ankern, könnten allerdings so einige der rauen Seeleute Nachfahren des Seemanns Johnny sein, den die junge Frau trotz enttäuschter Liebe in dem Song anschmachtet. Die Schwestern der Frau aus der Ballade sind in Surabayas Bordellviertel Dolly zu finden. Benannt wurde Indonesiens größtes Rotlichtviertel nach Dolly van der Mart, einer holländischen Madam, deren Puff während der Kolonialzeit einen guten Ruf genoss.
"Und dein Schiff liegt unten am Kai / [...] Du bist ein Schuft, Johnny / Du gehst jetzt weg, Johnny, sag mir den Grund."
Viel wird in diesen Tagen in Indonesien über Sex debattiert, im Land mit dem weltweit größten muslimischen Bevölkerungsanteil. Militante Islamisten ziehen mit Gewalt gegen Pornografie und Prostitution zu Felde in der Hoffnung, als Wächter der Moral ihre Vorstellungen eines islamischen Gottesstaates in Indonesien gesellschaftsfähig zu machen. Aber das Dolly-Viertel existiert noch ungestört, nur während des Fastenmonats Ramadan geht das Rotlicht vorübergehend aus.
Am Abend mache mich auf ins Schwulenzentrum. Das gibt es tatsächlich in Surabaya und ist im konservativ-muslimischen Indonesien das einzige seiner Art. Wenn jemand in Surabaya das traurige Lied vom Surabaya-Johny kennt, dann sind es Schwule, denke ich. Aber auch von den schwulen Männern und Surabays transsexuellen Söhnen und Töchtern ernte ich auf meine Frage nur Kopfschütteln.
Dann endlich habe ich Glück. Der Bürgerrechtler, Politikdozent und Zentrumsgründer Dede Oetomo kennt Johnny. Beim Abendessen in einem Restaurant im Zentrum von Surabaya mit seinen modernen Shopping Malls aus Glas und Stahl und vom Zahn der Zeit kräftig angenagten Häusern aus der holländischen Kolonialzeit erfahre ich, warum Surabaya-Johnny in der Hafenstadt an der Javasee ein Fremder ist. Während der Kellner Rindfleischsatays mit Erdnusssauce, Tempe, Tofu mit Chilisauce und Reis serviert, erzählt Dede: "Nur wer hier mit Europäern befreundet ist, hat von dem Song gehört."
Dede weiß aber auch, dass es tatsächlich eine indonesische Übersetzung des Evergreens aus den zwanziger Jahren gibt. Und der Refrain hört sich auf Indonesisch so an:
"Joni Surabaya, kenapa kau begitu kejam? Joni Surabaya, ya Allah, aku begitu cinta kau."